Wien - Hätte Lang Lang die werkeingangs herabstürzenden massiven Doppeloktaven, die Skyfall-Intrada von Griegs Klavierkonzert gespielt, es wäre wohl zu seismografisch messbaren Erschütterungen am Karlsplatz gekommen. Nicht so bei Lars Vogt: Versonnen absolvierte er den Niedergang, mit den leichten Verzögerungen eines Elfmeterschützen, der den Tormann kurz irritieren möchte.

Vogt war nie nur Virtuose, immer gehaltvoller Interpret: Kaum einer zaubert zurzeit farbigere, plastischere Charaktere aus dem uniformen Schwarz-Weiß-Gefüge der 88 Tasten. Wie eine traurige, umschattete Antwort auf die Des-Dur-Träumereien im Grieg-Mittelsatz Vogts Zugabe: ein cis-Moll-Nocturne Frédéric Chopins.

Ungeheuer farbig, lebendig, delikat auch das Gewandhausorchester Leipzig: Hat man einen Orchesterpart eines Instrumentalkonzerts in diesem Haus je berückender, in genauerer Ausführung, kammermusikalisch flexibler, sinnlicher, zarter gehört? Hätte Vogt doch nur auch bei Mahlers fünfter Symphonie mitgespielt!

Denn das Werk hatte keine Mitte, Chailly führte Steigerungen fast automatisch in ekstatische Gefilde, und Dauerekstasen machen müde. Mahlers Welttheater wurde auf ein Zirkusspektakel reduziert, das wundervolle Orchester: oft nur eine große Windmaschine. Der Konzertmeister geriet mit seinen Pendelbewegungen zum Sinnbild für den Aktionismus der Interpretation. Machen 70 Minuten Verve und vehementer Enthusiasmus schon einen guten Mahler? Den Beifallskundgebungen nach zu urteilen: ja. (end, DER STANDARD, 6.3.2013)