Wien - Der politische Gehalt des Stücks lil' dragon der französischen Compagnie Shonen, das beim Tanzfestival für Kinder und Jugendliche - Szene Bunte Wähne - im Tanzquartier zu sehen war, ist unheimlich. Aber nicht weil Choreograf Eric Minh Cuong Castaing neben zwei Tänzerinnen, 16 Kindern und Filmbildern auch zwei ferngesteuerte Videoprojektoren tanzen lässt.

Der gelernte Animationsfilm-Designer hat seine Gruppe nach einem bestimmten Typ des japanischen Manga benannt, der vor allem auf männliche Jugendliche zielt. Der dafür charakteristische Superheld wird in einem Videobild angedeutet. Es zeigt einen Buben mit tätowiertem Oberkörper. Die beiden Tänzerinnen, Meah Savay und Marie-Alfreda Nabo, geistern wie Schatten auf der Bühne herum. Nabo ist eine Hip-Hopperin, und Savay war vor der Blutherrschaft der Roten Khmer eine gefeierte Größe im klassischen kambodschanischen Tanz.

Das allein wäre schon starker Stoff. Die wie Drohnen bedrohlich über die Bühne sirrenden Videoprojektoren beamen aber noch andere Informationen unkommentiert auf den Hintergrundvorhang. Darunter das ins kollektive Gedächtnis eingebrannte Bild des "Napalm-Mädchens" Kim Phúc, das am 8. Juni 1972 nackt und mit versengter Haut vor einem amerikanischen Brandbombenangriff flieht. So wird die Sache brenzlig.

Denn da werden Oberflächen aus verschleierten künstlerischen und politischen Zusammenhängen für ein junges Publikum (das Stück war in Wien für Jugendliche ab 13 empfohlen, Castaing hatte es gar für Kinder ab neun gedacht) zu einem Konglomerat aus Effekten vermischt. Von den auf sie projizierten Visuals abstrahiert und aufgelöst wird auch der Schwarm der 16 etwa neunjährigen Kinder auf der Bühne.

Manga, Rote Khmer, Hip-Hop, Vietnamkrieg, Robobeamer - alles als frivoler Leerbild-Cocktail aufgetischt, der die Welt zur bloßen Fiktion macht. Schlimm. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, 4. 3. 2013)