Bild nicht mehr verfügbar.

Hinter der Theke drohen Lohn- und Abgabenbetrug: Die Arbeiterkammer ortet in der Gastronomie zahlreiche schwarze Schafe.

Foto: APA/KLAUS-DIETMAR GABBERT

Wien – "Es gibt kaum eine andere Branche, die so stark kontrolliert wird wie das Gastgewerbe", ist Josef Bitzinger überzeugt. Er habe in seinem eigenen Betrieb einmal im Jahr das Marktamt und die Finanzpolizei im Haus, die Krankenkasse habe mit uniformierter Polizei dreimal in zwei Jahren Nachschau gehalten, erzählt der Wiener Spartenobmann für Tourismus und Freizeitwirtschaft. Klar gebe es vereinzelt schwarze Schafe, wie in jeder anderen Branche auch.

Tatort Wirtshaus

Die Arbeiterkammer und Gebietskrankenkasse zeichnen ein völlig konträres Bild. "Jedes zweite Wirtshaus ist ein Tatort. Ermordet wurde keiner, doch es fand Sozialbetrug statt", sagt Julia Vazny-König, Arbeitsrechtsexpertin der Wiener Arbeiterkammer. Bei 45 Prozent der Beschäftigten in der Gastronomie stimme die Lohnabrechnung nicht mit ihrer tatsächlichen Arbeitszeit überein.

Vor allem bei Frauen, die weniger als ein Jahr in einem Gasthaus oder Restaurant arbeiteten, sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie korrekt bei der Gebietskrankenkasse angemeldet seien, gering. Sie sind 20, 25 Stunden in der Woche beschäftigt, angemeldet oft aber nur für zehn, zwölf Stunden oder geringfügig, ergänzt AK Burgenland-Präsident Alfred Schreiner.

Basis der Untersuchung waren 371 Befragungen von Mitarbeitern der Branche, die die AK wegen genereller Probleme um Rat ersuchten. Die Analyse ihrer Dienstverhältnisse ergab für Schreiner "ein Eldorado der Schattenwirtschaft". Er ortet mehr schwarze Schafe als in anderen Sparten und berichtet von Fällen, in denen Kellnerinnen etwa über Jahre ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld verweigert wurde. Abgesehen davon, dass ihnen wegen falsch angemeldeter Arbeitszeiten tausende Euro an Nachzahlungen zustanden. Das sei kein Kavaliersdelikt, sondern Lohnbetrug.

Wirtschaftskammer wehrt sich

Das ganze sei eine populistische  Pauschalverurteilung, schießt der oberster Branchenvertreter in der Wirtschaftskammer, Hans Schenner, zurück. "Dem Gastgewerbe wird Lohn-, Steuer- und Abgabenbetrug vorgeworfen, und das genau in einer Zeit, in der es Beschäftigungs- und Abgabenrekorde für Österreich erwirtschaftet." Die Erhebungen und Hochrechnungen der Arbeiterkammer seien zweifelhaft. Bei 168 Problemfällen unter insgesamt 425.000 Beschäftigten relativiere sich einiges, ergänzt Bitzinger. Es sei keine Rede von Dramatik.

Ihre Erfahrungen untermauern jedoch die Einschätzungen der Ar-beiterkammer, erzählt die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse Ingrid Reischl dem Standard. Was Schwarzarbeit betreffe, sehe sie den Trend, dass Leute, die früher nicht, nun als geringfügig beschäftigt gemeldet würden. Im Gastgewerbe fielen mehr Dienstnehmer bei Prüfungen auf als im Bau. Die Schadenssumme sei allerdings weitaus geringer, weil am Bau in der Regel mehr Dienstnehmer arbeiteten.

Bei Krankenstand, Arbeitslosigkeit und Pension seien Beschäftigte letztlich die Gefoppten, sagt AK-Vizepräsident Rudolf Kaske. Wer fünf Jahre nicht und zehn falsch gemeldet sei, verbuche etwa einen Pensionsschaden von "vorsichtig geschätzt rund 100.000 Euro". Im Gastgewerbe selbst verzerre es den Wettbewerb. "Das Niveau des Unrechtbewusstseins ist hier tief angesiedelt."

Hohe Fluktuation in der Branche

Kaske fordert die Verdoppelung der Verjährungsfrist für Beitragseinhebungen auf zehn Jahre, was Reischl begrüßt. Bitzinger hält es "in Anbetracht der hohen Fluktuation in der Branche" für Unsinn. "Denn wie viele Betriebe gibt es nach zehn Jahren noch?"

Geht es nach Kaske, soll die Krankenkasse Dienstnehmer zudem über Änderungen bei An-, Ab- und Ummeldung zur Sozialversicherung direkt informieren, was Bitzinger für eine gute Idee hält. Reischl gibt bei jährlich im Schnitt 600.000 Anmeldungen allerdings den Aufwand zu bedenken. Status quo sei, dass der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, Mitarbeitern eine Kopie der Durchschrift der Anmeldung zu geben. Der Dienstgeber müsse sich an diese Gesetze halten. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 1.3.2013)