Wien - Die Sozialpartner wollen die Voraussetzungen für die Erfüllung der Schulpflicht ändern und die Polytechnische Schule abschaffen. Demnach soll die Schulpflicht nicht wie bisher - erfolgsunabhängig - nach neun Schuljahren absolviert sein, sondern erst bei Erreichen von Mindeststandards in Deutsch, Englisch und Mathematik sowie dem Abschluss aller neun Schulstufen, heißt es in einem am Mittwoch vorgestellten Papier. Außerdem fordern die Sozialpartner ein zweites verpflichtendes, kostenloses Kindergartenjahr, die Anerkennung des BHS-Diploms als tertiären Abschluss sowie die Einführung von Berufsakademien als neue Hochschulform.

Die Schulpflicht solle nicht mehr an das Absolvieren von Schuljahren geknüpft werden, sondern an die Erreichung von Bildungszielen, betonte der scheidende Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel bei einer Pressekonferenz. Wer diese nach neun Jahren nicht schafft, soll bis zu zwei Jahre zusätzlich Zeit dafür bekommen oder in eine integrative Berufsausbildung eintreten. Die Polytechnische Schule soll es künftig nicht mehr geben, vielmehr soll die Neue Mittelschule (NMS) fünf statt vier Jahre dauern. Die Poly-Lehrer würden hingegen für die spätestens im neunten Schuljahr verpflichtend auf dem Programm stehende Fachorientierung dringend gebraucht, so Tumpel. Voraussetzung für einen Pflichtschulabschluss ist auch die Absolvierung einer Berufsorientierung und Bildungsberatung inklusive Potenzialanalyse und Feedbackgespräch.

Um die Frage der Schulorganisation der ersten neun Schuljahre drücken sich die Sozialpartner hingegen. Die ersten neun Schuljahre sollen demnach zwar durch gemeinsame Inhalte für alle Schüler gekennzeichnet sein - ob dies weiter in einem gegliederten Schulsystem passiere oder in einer gemeinsamen Schule, ließen sie auch auf Nachfrage offen. "Die Entscheidung für die weitere Laufbahn soll erst nach der neunten Schulstufe getroffen werden", war Tumpel noch am konkretesten.

Leitl: "Weg von alten Mustern"

Ab 2022/23 sollen jene Schüler, die die Schulpflicht erfolgreich absolviert haben, alle Formen von weiterführenden Ausbildungen besuchen können - von der Lehre über die AHS bis zu berufsbildenden mittleren und höheren Schueln (BMHS). "Zuckerl" für BHS-Absolventen: Das mit der Matura erworbene BHS-Diplom soll bei weiterführenden Studien angerechnet sowie unter Sicherstellung entsprechender Qualitätsstandards als erster tertiärer Abschluss anerkannt werden ("Short cycle degree"). Bei den AHS soll ein neues Modell entwickelt werden, das einen gleichzeitigen Lehrabschluss für Maturanten ab dem Alter von 19 Jahren ermöglicht - nötig ist eine mindestens einjährige facheinschlägige Beschäftigung und ein maßgeschneiderter Berufsschulabschluss bzw. daran anschließend das Bestehen einer Lehrabschlussprüfung.

Im Hochschulbereich soll mit Berufsakademien ein neuer tertiärer Ausbildungsweg entstehen. Voraussetzung für den Zugang ist dabei keine Matura, sondern nur der Abschluss einer Lehre bzw. BMS plus je zweijähriger Berufspraxis. Lehrinhalt der dreijährigen Studien soll "praxisbezogene berufliche Weiterbildung auf Hochschulniveau" sein.

"Wir müssen weg von alten Mustern", betonte Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl: "Die Gescheiten gehen in eine höhere Schule und machen Matura, die nicht so Gescheiten eine Lehre - das hat ausgedient." Egal wo jemand herkomme, es müssten ihm alle Ausbildungswege offenstehen.

Wichtig sei nun die Umsetzung, so Leitl: "Das Papier ist vorhanden, den Dialog mit den zuständigen Ministern haben wir geführt, Übereinstimmung ist weitgehend gegeben."

Schmied: "Diskussionsgrundlage"

Das Sozialpartner-Papier ist für Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) eine "Diskussionsgrundlage, mit der wir sehr gut in weitere Gespräche einsteigen können", hieß esaus dem Ministerium. Es bilde bisherige Initiativen wie die Lehre mit Matura ab und belege den Bedarf nach einer Reform der neunten Schulstufe, die man ohnehin bereits in Angriff genommen habe. Dass dieses Thema aber umstritten sei, würden die Reaktionen mancher Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern zeigen - so äußerten etwa Jugendvertreter der Gewerkschaft sowie Industriellenvereinigung (IV) Skepsis. Begrüßt werden die Reformpläne dagegen vom Arbeitsmarktservice (AMS), Wirtschaftskammer-Vertretern und dem Initiator des Bildungsvolksbegehrens, Hannes Androsch. (APA, 27.2.2013)