Ein besonderer Swatch-Klassiker, die "Once Again", die seit 1983 produziert wird.

 

Foto: Swatchgroup

Die Sensation war schlicht. Ein schwarzes Armband zierte ein schwarzes Zifferblatt ohne Ziffern, über das im Sekundentakt güldene Zeiger tickten. Am 1. März 1983 präsentierte Nicolas Hayek in Zürich eine Uhr mit dem wenig sexy klingenden Namen "GB 101", Gent Black 101. Rundherum aus Plastik und für gerade einmal 500 Schilling zu haben. Was nicht wenige mit Stirnrunzeln als Wegwerfklump kritisieren, erweist sich wenig später als weltweiter Megaseller und Rettung der Schweizer Uhrenindustrie.

Das Zentrum der präzisen Zeitmessung sah sich Anfang der 1980er-Jahre von simplen Uhren mit kleinen Preisen aus Fernost bedroht. Zwei findige Eidgenossen hatten in ihren Laboren schon mit Quarzkristallen als Taktgeber gebastelt und brauchten nur noch 51 statt der bisher üblichen 150 Teile. Unternehmensberater Hayek war der Mann, der den Plan der beiden Ingenieure als gigantisches Potenzial erkannte.

Mehr Pop als Protz

Aus der ersten Serie mit teilweise tristen Farben entwickelt sich die Firma, deren Symbol alsbald neonpopbunte Armbänder mit einem noch bunterem Zeitmesser sind. Die Uhr am Handgelenk entwickelte sich außerdem vom Zeitmesser zum Modeaccessoire. Wie in der Kleiderbranche gibt es auch bei den Plastikuhren eine Frühjahrs- und Sommer- sowie eine Herbst- und Winterkollektion. In den 1990er-Jahren werben die Schweizer deshalb konsequent mit dem Slogan "Fashion that ticks".

Es ging zwar immer noch um Pünktlichkeit, aber mehr um Pop als Protz am Handgelenk. Statt pompöses Prestigeobjekt ging der Trend jetzt zur Zweituhr. Die Swatch ist das Kürzel für "second watch", also die zweite Uhr, die Frau und Mann jederzeit wechseln können. Wenn es sein muss, rosa zur roten Bluse, kanariengelb zum knallbunten Karosakko oder blassgrau zum Businessdress. Selbst für Bikini und Badehose gab es das passende Design. Andere Modelle gaben den Blick auf das quarzgesteuerte Werk frei.

Der italienische Designer und spätere Art-Direktor bei Swatch, Alessandro Mendini, hatte schon in den 1970er-Jahren erkannt: "Das Neuerfinden von Formen wird ersetzt durch das Variieren von Dekors, von Mustern und Oberflächen." Entwerfen sei dekorieren.

Von Kiki Picasso bis Keith Haring

Die Spaßuhr war für deren Vater so etwas von fesselnd, dass er das erste Modell sein ganzes Leben nicht vom Handgelenk nahm, bis er 2010 starb. Das passt zum Spaßvogel Hayek. Im Leben habe er "noch nicht einen Tag gearbeitet", freute er sich einmal. "Das, was andere als Arbeit bezeichnen, ist für mich Amüsement."

Vergnügen dürften auch Avantgardekünstler wie Kiki Picasso oder Keith Haring gehabt haben, die mit ihren streng limitierten Kreationen die Swatch als Sammelware und Geldanlage mitbegründeten. Nur 140 Picasso-Uhren kamen 1985 auf den Markt. 1991 entwirft der Künstler Alfred Hofkunst drei Modelle. Eine Gurke, eine Paprika und ein Spiegelei mit einem Armband, das knusprig gebratener Speck zierte. Swatch präsentiert die Kollektion als "Vegetable-Set", als Gemüseserie. Dass es keinen Aufschrei der Vegetariergemeinde gab, verwundert.

Sammel-Sensation

Wer sich heute die Pflanzen und das Ei ans Handgelenk binden möchte, bezahlt 350 Euro. Nicht weniger skurril erscheinen zum fünften Geburtstag Modelle mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen "Puff", deren Glasgehäuse von farbigen Angorahaaren umrandet waren.

Immer wieder erzielten Sammler Supersummen bei Versteigerungen. Der Schweizer Unternehmer Peter Blum erlebte die grandiose Geldsumme leider nicht mehr. Neun Jahre nach seinem Tod blechte ein bis heute nicht bekannter Chinese im November 2011 im Hongkonger Auktionshaus Phillips de Pury für 4370 Swatch-Uhren die Sensationssumme von knapp fünf Millionen Euro, das sind immerhin 1150 Euro pro Uhr. Vor allem, weil dieser Blum auch Modelle zusammengetragen hatte, die als Prototypen selbst der größte Fan nicht im Laden kaufen konnte.

Der Hype um die hippen Uhren trieb die Fans in die Sammlerclubs "Swatch Collectors". Schon für die exklusive Clubuhr, die nur Mitglieder bekamen, lohnte sich der geringe Jahresbeitrag, für den Schweizer 30 Franken ausgeben mussten. Die Gemeinschaft war der Zutritt zu glamourösen Partys. Als die Swatchianer 1992 die hundertmillionste Uhr feierten, verhüllte das Unternehmen kurzerhand das Matterhorn mit weißen Tüchern und projizierte auf die bergige Leinwand eine Lasershow.

Riesenrad als Zifferblatt

Auch Österreich hat seine Spuren in den Swatch-Serien hinterlassen. Sammelclubfreunde freuten sich zur Fußballeuropameisterschaft 2008 über eine Extraedition in den Nationalfarben. Die "Time for Vienna" bekam ein Riesenrad als Zifferblatt und den Stephansdom, Lipizzaner und die Johann-Strauß-Statue aufs Armband.

Den Machern gingen weder Farben noch Ideen aus, damit die Swatch mehr als bloße Zeitanzeige blieb. Die "Scuba" nahmen Taucher mit ins Wasser, die "MusiCall" brachte selbst Morgengrantler mit einer Weckmelodie besser gelaunt in den Tag, die "Access" war dank eingebauten Mikrochips gleichzeitig Skipass, die "Adamaster" zeitgleich Eintrittskarte für die Expo 98 in Lissabon. Die Kindermarke "Flik Flak", mit Flik als Minuten- und Flak als Sekundenzieger, lässt sich leger bei 40 Grad waschen.

Swatch vs. iWatch

Mit den Gewinnen aus dem Plastikgeschäft ging Nicolas Hayek auf Einkaufstour. Zur Swatch Group gehören jetzt Luxusmarken wie Breguet, Blancpain, Longines und viele mehr. Im Jubiläumsjahr scheint der Apple-Konzern zum Konkurrent zu werden. Mit der geplanten iWatch der Amerikaner soll man telefonieren und E-Mails abrufen können. Die Schweizer waren schon einmal weiter. Auf der Computermesse Cebit staunten 1998 viele Besucher über die Swatch-Talk, die dann allerdings in der Schublade verschwand.

Swatch verkaufte aber nicht nur die richtige Uhrzeit. 1996 war der Konzern offizieller Zeitnehmer der Olympischen Spiele und kreierte später seine eigene Zeit, die Biel Mean Time (BMT). Laut der hat der Tag statt Sekunden, Minuten und Stunden einfach tausend Einheiten. Überall auf der Welt ist die Bielzeit dieselbe. Den Vorteil, so die Schweizer: Niemand müsse mehr über Zeitzonen nachdenken, und Internetfreaks aus allen Kontinenten könnten sich einfacher zum Chat verabreden.

Immer wieder prophezeiten selbsternannte Seher der Branche das Ende des Plastik-Pops. Das sieht das Team in Biel eher gelassen und blickt weit in die Zukunft. Im Jahr 2033 sollen 1111 Millionen Swatch-Uhren verkauft sein. (Oliver Zelt, Rondo, DER STANDARD, 01.03.2013)