"Bücher sind für mich so selbstverständlich wie essen und kochen", sagt Franz Lettner.

Foto: Katsey

Das Zuhause seiner Kindheit war ein buchfreier Haushalt. Die Eltern lasen nicht, außer die Mühlviertler Nachrichten und das Kirchenblatt. "So gesehen hätte ich Nichtleser werden müssen", erzählt der gebürtige Oberösterreicher Franz Lettner und muss lachen. Denn es kam ganz anders: Der heute 49-Jährige ist passionierter Vielleser, beruflich und privat, aber das ist ohnehin schwer zu trennen. Seit nunmehr 20 Jahren arbeitet er am Institut für Jugendliteratur, 1999 hat er die Chefredaktion des österreichischen Kinder- und Jugendliteraturmagazins "1000 und 1 Buch" übernommen. Im deutschsprachigen Raum ist Lettner ohne Zweifel eine hochangesehene Koryphäe in seinem Metier und sitzt vielfach in Fachjurys zum Thema.

"Durch Zufall", antwortet er bescheiden, fragt man ihn, wie er zur Kinder- und Jugendliteratur gekommen ist, und erzählt von Bücherkisten, die er zunächst zu Leseförderaktionen geschleppt hat, und davon, wie er die Tontechnik auf Sommertagungen gecheckt hat. Eigentlich hätte er, wie sein Onkel schon, Pfarrer werden sollen, hat nach dem Internat am Petrinum Linz (seine Mutter war schwer krank und ist verstorben, als er zwölf war) tatsächlich eine Zeitlang Theologie in Salzburg studiert, später dann Germanistik und Geschichte in Wien, aber da war seine Leidenschaft für Literatur schon längst geweckt. "Einfach dasitzen und zuhören" war für ihn schon in der Volksschule das Schönste, wenn die Lehrerin Geschichten aus der klassischen Mythologie vorgelesen hat. Lettner hat früh viel gelesen: Karl May oder Black Beauty. Und nur wenig später dann moderne Literatur, die ihm ein interessierter Internatspräfekt zur Verfügung stellte: Handke zum Beispiel.

Nicht minder komplexe Figuren

"Nein", sagt Lettner, internatsgeschädigt sei er nicht. Heimweh hatte er und einsam war er auch, aber es war auch toll, in einer Umgebung größer zu werden, in der es mehr Möglichkeiten gab als zu Hause in Naarn, einem kleinen Ort im unteren Mühlviertel. Trotzdem würde er sein Kind - Lettner hat eine Tochter – niemals in ein Internat geben. "Schon aus Eigennutz nicht!" Und meint damit: um keine Zeit mit dem eigenen Kind zu verpassen. Gerade erst heute früh hat er mit der achtjährigen Eleni über das Buch Der Bär im Boot von Dave Shelton gesprochen, das Vater und Tochter gleichzeitig gelesen haben. Im Gegensatz zu Lettners Kindheit sind für Eleni Bücher so selbstverständlich wie Essen oder Kochen.

"Wir finden nicht immer das Gleiche gut oder schlecht", sagt der Vater, für den sich der Zugang zur Kinderliteratur durch das eigene Kind erweitert hat. Lettner, für den die Erstlektüre eines Buches zunächst immer ein rein privates (sinnliches) Vergnügen ist, legt auch beruflich nicht ausschließlich Wert auf eine literaturwissenschaftliche Einordnung. Präzision heißt für ihn, die Texte, über die er schreibt, sehr genau zu lesen, sprich: draufzukommen, warum ein Text funktioniert oder nicht. 

Nicht minder komplexe Figuren

Dass die Kinder- und Jugendliteratur im Feuilleton praktisch keine Rolle spielt, ist für ihn ebenso wenig nachvollziehbar wie die Tatsache, dass Kinder- und Jugendbuchautoren hierzulande bei weitem nicht das Ansehen genießen wie sogenannte richtige Autoren: "Wir lesen doch auch sonst häufig Bücher über Figuren, die mit uns selbst nicht unmittelbar etwas zu tun haben. Das ändert aber nichts daran, dass in der Kinder- und Jugendliteratur im Idealfall nicht minder komplexe Figuren entwickelt werden, wie das auch in der sogenannten Erwachsenenprosa einmal mehr und einmal weniger gelingt", sagt Lettner und weiß, dass die Auseinandersetzung mit der Thematik meist am Engagement einzelner Redakteure liegt, die zufällig Kinder haben oder eben auch nicht.

Lettner vermisst den Überblick in der Branche, den sein Magazin "1000 und 1 Buch" zumindest vierteljährlich durchaus herzustellen vermag. Die neue Februar-Ausgabe (1/2013) enthält wie immer 60 unterschiedlich lange Rezensionen. Für das aktuelle Heft zum Schwerpunktthema "Übersetzen" hat Lettner wieder eine erste Riege an Autoren gewinnen können. "Zum Glück", sagt Lettner, "sind wir ein Magazin, in dem man sich gerne wiederfindet." Kein Wunder, denn zum Glück gab es den Zufall, der natürlich keiner war, der Franz Lettner zur Kinder- und Jugendliteratur gebracht hat. (Josef Bichler, Family, DER STANDARD, 7.3.2013)