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Bilder einer brutalen Dauerisolierung: Antonia Campbell-Hughes als Natascha Kampusch in "3096 Tage".

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Natascha Kampusch bei der Filmpremiere.

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Wien - Natascha Kampusch war ein dickliches Kind, als sie am 2. März 1998 in Wien entführt und in einen Keller gesperrt wurde. Und sie war eine unterernährte junge Frau, als sie am 23. August 2006 eine Gelegenheit zur Flucht nützte. Dazwischen lagen 3096 Tage, über die seither eine Menge geschrieben wurde, nicht zuletzt auch ein Buch von Natascha Kampusch selbst, das im Vorspann von Sherry Hormanns Film 3096 Tage als Vorlage genannt wird.

Der Begriff "Autobiografie", der dafür ein wenig blauäugig übernommen wurde, hat dabei durchaus eine Berechtigung, denn für Natascha Kampusch ist es entscheidend, ihre eigene Geschichte dieser Ereignisse schreiben zu können - wie viel auch immer Medienberater und Ghostwriter, Therapeuten und Freunde dazu beigetragen haben mögen.

Das Drehbuch zu 3096 Tage entstand ebenfalls in engem Kontakt mit Natascha Kampusch, die Bernd Eichinger für ausführliche Gespräche zur Verfügung stand, bevor das Fragment nach seinem überraschenden Tod 2011 von Ruth Toma fertiggestellt wurde. An einigen Stellen geht der Film über die bisher geläufigen Tatsachen hinaus, vor allem in der Darstellung der sexuellen Beziehung zwischen dem Entführer Wolfgang Priklopil und dem Mädchen, zu dessen unumschränktem Herrscher er sich machte.

Dass diese wenigen, vorsichtig inszenierten Stellen aber auch nichts Wesentliches zur Deutung dieses Langzeitverbrechens beitragen, liegt an der Perspektive, mit der Sherry Horman und Kameramann Michael Ballhaus an die Sache herangingen: Der Film versucht, zugleich diskret und verallgemeinerbar zu sein.

Das führt an manchen Stellen zu genauen Beobachtungen und überzeugenden filmischen Verdichtungen. So gelingt es etwa, die zunehmende körperliche Intimität, die Priklopil sich herausnahm (oder die er sich allmählich traute), durch den jeweils unterschiedlichen Gebrauch eines Plastikbandes zu charakterisieren, das er benützte, um Natascha Kampusch buchstäblich an sich zu fesseln. In der zweiten dieser Szenen bringt Priklopil durch die Fessel das Mädchen für sich gleichsam "in Stellung" - der eigentliche Akt muss dann nicht mehr im Detail und schon gar nicht ausführlich gezeigt werden. Das ist eine klassisch filmische Erzählweise, die aus Kleinigkeiten das Ganze erschließt, und einer voyeuristischen Sichtweise entgegenwirkt.

Zugleich wirkt das allerdings auf die Figurenzeichnung zurück. Vor allem der Täter (Thure Lindhardt spielt Wolfgang Priklopil) bleibt in 3096 Tage eine recht abstrakte Attrappe, ein unschuldig aussehender Unhold, über den man über die Tatsache einer offensichtlich starken, zwiespältigen Mutterbeziehung hinaus wenig mitbekommt.

Der ganze Komplex des Nahrungsentzugs enthält vermutlich Schlüsselmomente, aus denen Hinweise zu gewinnen wären, was Priklopil wirklich bewegte. Offensichtlich zeigt sich in seinem Aushungern des Opfers etwas von seinen komplizierten sexuellen Bedürfnissen.

Prekäre Stilisierung

Doch gerade in den Bildern der ausgemergelten, geschorenen, in Männerunterhosen gekleideten Natascha (gespielt von Antonia Campbell-Hughes) entscheiden Horman und Ballhaus sich eher für prekäre Stilisierungen, als dass sie versuchen würden, diese ungeheuer komplexe Beziehung zwischen Priklopil und Kampusch besser zu verstehen. Dazu kommen erzählerische Rücksichtnahmen, die darauf hinauslaufen, dass Priklopil sich Kampusch sexuell erst näherte, nachdem sie geschlechtsreif geworden war; die erste Menstruation wird in einer Szene gezeigt, bezeichnenderweise reagiert er darauf zuerst einmal so, als hätte das Mädchen für ihn nun seine Unschuld verloren.

Umgekehrt vermag Horman auch kaum einmal etwas von der Überlebensenergie zu vermitteln, mit der Natascha Kampusch sich allmählich aus dem Kellerloch befreit, Spielräume mit ihrem Peiniger aushandelt, wie etwa in einer der wenigen diesbezüglich wirklich starken Szenen, in denen sie nachts zum ersten Mal in den Garten darf.

So macht 3096 Tage zwar insgesamt nur wenig richtig falsch, bleibt aber auch auf einer eigentümlich professionellen Distanz zu einem hier längst nicht mehr aufwühlenden Geschehen. So muss das wohl sein, wenn aus einem persönlichen Trauma ein rundum abgesichertes Produkt für den Weltmarkt gemacht wird. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 26.2.2013)