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Auf der Jagd nach Effekten: Lang Lang.

Foto: reuters/JEAN-PAUL PELISSIER

Wien – Er spielt und spielt: bei der Eröffnung von Olympischen Spielen oder in TV-Shows wie Willkommen bei Carmen Nebel. Und natürlich auch im angestammten Habitat eines Pianisten: Mit dem überzeugenden RSO Wien und Cornelius Meister gab Lang Lang im Konzerthaus, eingerahmt von Ravels 340-Takte-Crescendo Bolero und einem breitbrüstigen Heldenleben von Strauss, Gershwins Rhapsody in Blue zum Besten.

Der chinesische Weltstar ohne Berührungsängste gegenüber zirzensischem Spektakel kann wundervoll Gehaltvolles bieten, wenn er sich interpretatorisch etwas  zurücknimmt: Man erinnere sich etwa an sein Auftreten mit den Wiener Philharmonikern und Nikolaus Harnoncourt 2010 mit Beethovens erstem Klavierkonzert. Legendär. Bei Gershwin gab Lang Lang aber ganz das Showpferdchen, bot keine musikalische Erzählung, sondern lediglich eine An einanderreihung extremer Ge gensätzlichkeiten:

Akkordrepetitionen mit Zertrümmerungswucht, karatenahes Martellato-Spiel, dazwischen unfassbar zarte Pianissimo-Soufflées. Bei der ersten der zwei Chopin-Zugaben, dem Minutenwalzer, frisierte er die Begleitfiguren der linken Hand zu burgtheatertauglichen Charakterstudien auf. Ja: Lang Lang kann wirklich alles machen. Das Problem ist nur: Manchmal macht er das auch.

Ganz ähnlich war auch der Eindruck bei einem Soloabend mit Mozart und Chopin am selben Ort: Auch hier blieb der Tastentiger keinerlei Showeffekt schuldig, mochte das nun zu den gespielten Werken passen oder – was weit häufiger der Fall war – nicht. 

Die drei Mozart-Sonaten siedelte er zwischen den Extremen verhetzt und zerdehnt, verzärtelt und zerdroschen an. Und zuverlässig stellte er dabei erneut unter Beweis, dass er zwar den Klang auf die erstaunlichste Weise abschattieren kann, aber kaum jemals fähig ist, zu verdeutlichen, wozu er das tut.

Stattdessen benügte er sich mit dem Aneinanderreihen von Effekten, während es ihm gar nicht darauf anzukommen schien, die musikalische Grammatik nachzuvollziehen. Eine Dissonanz und die folgende Auflösung, eine Figuration in der Grundtonart oder in größter harmonischer Schärfung: Ihm ist das offensichtlich alles gleich. Auch bei den vier Balladen von Chopin konnte man gleichermaßen und gleichzeitig über pianistische Fertigkeiten und haarsträubende interpretatorische Unzulänglichkeiten staunen. Hier war es, als habe Lang Lang Chopin abwechselnd mit Debussy’schen Klang oszillationen und Bartók’schen Barbarismen verwechselt. 

Dass sich jemand in der vierten Ballade bereits nach einer Steigerung kurz vor Schluss dazu gedrängt fühlte loszuklatschen, passte ins Bild. Wie soll das Publikum Sinn und Gehalt von Musik nachvollziehen, wenn schon der Interpret außerstande scheint, sich in ihre Strukturen einzudenken und stattdessen Zirkus spielt? (Stefan Ender und Daniel Ender, DER STANDARD, 26.2.2013)