Tatort USA: Der Fotograf Tim Maxeiner verkuppelt in einem charmanten Bildband Autos mit Häusern - Heraus kommt eine etwas andere Soziologie des Eigentums

Los Angeles, das war für Friedrich Torberg zuerst einmal Erstaunen: "Es gibt keine Gehsteige und auch tatsächlich keine Fußgänger", notiert der kurz zuvor in Hollywood, dem Fluchtpunkt seines US-amerikanischen Exils Angekommene, in einem Brief im Jahr 1940. "Wenn es aber welche gibt, so bleibt das nächste Auto stehn und fragt (totum pro parte, es fragt natürlich der Fahrer, Herr Arsch), ob man einen accident gehabt hätte, ob er die Rettungsgesellschaft, die Polizei oder den Zahnarzt verständigen solle, und wo die Trümmer lägen." Zumindest höflich waren sie, die Angelenos.

Torberg, der Journalist und Schriftsteller, kam an einen Ort, der damals bereits die Ausfahrt Richtung einer kollabierenden Autostadt genommen hatte. Ein Moloch ohne nennenswerte öffentliche Verkehrsmittel, geprägt von nach einem strikten Schachbrettmuster angelegten Straßen, die weitgehend isolierte Wohnbezirke und deren Bewohner zumindest theoretisch verbinden. My Home is my Hood.

Mobil trifft Immobilie

Das Auto ist in Los Angeles, mehr noch als im Rest der USA, nicht bloß ein Mobilitätsversprechen. Es ist überlebenswichtig. Was Wunder, dass die Beziehung der Besitzer zu ihren Vehikeln eine innige ist - und dass ihre Gefährte ganz automatisch zu einer mobilisierten Langführung ihrer Persönlichkeit werden. Richtig spannend wird das Mensch-Maschine-Setting jedoch, wenn das Heim auf vier Rädern mit den Häusern der Besitzer gespiegelt wird.

Der Fotograf Tim Maxeiner hat sich in San Pedro, dem Hafenviertel seiner Wahlheimat, auf die Suche nach diesen Paarungen gemacht. Das Ergebnis ist eine kleine, charmante soziologische Feldstudie, die soeben in einem kleinen, charmanten Bildband bei Delius Klasing erschienen ist: "Auto - allein zu Haus". 99 Couples hat der 26-jährige Deutsche versammelt, die er allesamt im näheren Umfeld seiner Bleibe aufgenommen hat.

Soziologie der Straße

In San Pedro ist die Welt - nach europäischen Verkehrsmaßstäben - übrigens noch in Ordnung. Es gibt Gehsteige und pittoreske Einfamilienhäuser unterschiedlichster Jahrgänge, Stile und Verfallsstadien. Ähnlich verhält es sich mit den davor abgestellten Autos. Keines der Duette ist inszeniert, betont Maxeiner, ergo gibt es aber auch keine Garantie, dass Haus- und Autobesitzer ein und dieselbe Person sind - womit sich der Band dem Verdacht aussetzen muss, ein Opfer seines etwas konstruierten Mottos zu sein. Zumindest erstaunlich hingegen ist, dass das Vorwort zu Maxeiners Bilderschau Henryk M. Broder, an sich Chefpolemiker des bundesdeutschen Feuilletons, mit einer kleinen Kulturphilosophie über "Mobile Immobilien" bestreitet.

Abseits der etwas wackeligen Arbeitshypothese gelingt es "Auto - allein zu Haus" dennoch, sein Versprechen einzulösen. Maxeiners Viertel ist ein Hort sogenannter "Classic Cars", die teils liebevoll gepflegt, teils mit herrlicher Patina versehen, aber auch in einem erbärmlichen Zustand vor sich hindarbend mit den dahinter aufragenden Häusern korrespondieren. Vom gewienerten Cadillac über das verwitterte Ex-Muscle-Car bis hin zum perfekt aufgepimpten Lowrider: Zu sehen ist ein Kaleidoskop des American Way of Life mit Architektur-Begleitung, das unprätentiös und mit soziologischem Blickwinkel in der Tradition der US-Street-Photography eines Stephen Shore oder Joel Sternfeld steht.

Jedes der von Maxeiner eingefangenen Stillleben trägt ein ein kleines Rätsel, vor allem aber eine Alltagsstory über mehr oder weniger geglückten Individualismus in sich. Die etwas andere Bildergeschichte über das amerikanische Paarungsverhalten. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 26.2.2013)

Tim Maxeiner
Auto - allein zu Haus
Verlag Delius Klasing 2013
144 Seiten, 100 Farbfotos, zweisprachig (dt./engl.), Format 24 x 18 cm



Auto - allein zu Haus. Eine Ansichtssache (Zitate Tim Maxeiner):

Ein bisschen Rouge, ein bisschen Pink und ganz viel Ornamentik: Symphonie in der 25. Straße.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Der Parkplatz fürs Haus war leichter zu finden.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Abblätternder Lack. Eint als Stilmittel Haus und Auto.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Gleiche Straße, gleicher Geschmack. Nachbarn. Seelenverwandt motorisiert.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Wir sind ganz oben: Mercedes S-Klasse vor Villa am Hang.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Auto kaputt. TV kaputt.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Haus spanisch, Flagge amerikanisch, Auto japanisch.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Land Art mit Cadillac.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Nomen est omen: Chevrolet Bel Air in Höhenlage abgestellt.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Der Übergang zwischen Rost und Kunst ist fließend.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Wen nimmt die Müllabfuhr mit?

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Mercedes Coupé. Wirkt wie ein geparktes Stilmöbel.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Lincoln Town Car mit Opernfenster vor Bauhaus-Replika.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Auto und Haus tauschen allmählich ihre Farben aus.

Foto: delius klasing/tim maxeiner

Midnight Blues: Volkswagen mit Mütze.

Foto: delius klasing/tim maxeiner