Die Protestwelle ist nun endgültig aus den südeuropäischen Krisenstaaten nach Osten übergeschwappt - nach Bulgarien, ins ärmste Land der Europäischen Union. Aber gerade dort wird das Paradoxe an dieser breiten sozialen Bewegung des Zorns und der Verzweiflung offensichtlich: Die Bulgaren demonstrieren gegen Armut, Arbeitslosigkeit und steigende Lebenshaltungskosten. Sie können damit zwar - wie vergangene Woche - Regierungen zu Fall bringen. Doch an ihrer misslichen Lage wird sich dadurch nichts ändern.

Denn zu den Ursachen des Elends in Bulgarien zählen zwar auch Misswirtschaft und Korruption, was in den Verantwortungsbereich der politischen Eliten gehört. Aber selbst wenn sich der Regierungsstil dramatisch besserte, was kaum zu erwarten ist, würde es Jahrzehnte dauern, bis die Bürger dies in ihrer Brieftasche zu spüren bekommen. Erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung benötigt viel Geduld. Und die ist in Bulgarien derzeit Mangelware.

Eher ist zu befürchten, dass die Proteste die Wirtschaft weiterhin schwächen, indem sie Investoren abschrecken und Regierungen zu populistischen Ausgaben verleiten, die sich das Land nicht leisten kann. Denn das Geld, das den Bulgaren zu billigerem Strom oder höheren Gehältern verhelfen könnte, das ist einfach nicht da. Und auf Pump, das haben viele andere Länder gezeigt, lässt sich nachhaltiger Wohlstand nicht finanzieren.

Das ist auch das Problem der zornigen Millionen, die alle Wochen wieder in Athen, Madrid oder Lissabon auf die Straße gehen. Sie fordern mehr Einkommen, niedrigere Steuern und mehr Arbeitsplätze - und dies mit gutem Grund, denn eine Gesellschaft mit fallenden Gehältern und 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ist ein Hort der Verzweiflung. Aber keine Regierung, egal welcher Richtung, weiß, wie man ihre Wünsche erfüllen kann. Deshalb haben auch seit Ausbruch der Krise die Machtwechsel in diesen Staaten keine Besserung gebracht. Wenige Wochen nach Amtsantritt sind die neuen Herrschenden genauso verhasst wie die alten.

Aber sind nicht der Streitpunkt die unbeliebten Sparprogramme, die nach Meinung vieler Ökonomen - und auch des Internationalen Währungsfonds - die Rezession in den Krisenländern noch weiter verschärft haben? Ja und nein. Die Debatte auf der Expertenebene dreht sich nur um die Frage, ob man Einsparungen zeitlich etwas streckt, nicht um ihre Notwendigkeit. Aber selbst wenn die Kürzungen bei den Staatsausgaben etwas abgemildert werden, würde sich an der Misere der breiten Masse nicht viel ändern. Und wie Frankreichs Staatspräsident François Hollande rasch zu spüren bekommen hat, lassen sich selbst kleine Wahlversprechen im Regierungsalltag nicht umsetzen, wenn die Konjunktur und die für die Staatsschulden benötigten Finanzmärkte nicht mitspielen.

Die Aussichtslosigkeit der Protesthaltung werden auch jene Italiener zu spüren bekommen, die bei den Wahlen auf ein Comeback von Silvio Berlusconi oder gar auf Beppe Grillo setzen. Italiens Wirtschaft leidet an ihrer verlorenen Wettbewerbsfähigkeit, und die kann nur durch schmerzhafte Reformen wiedergewonnen werden - genau das Gegenteil von dem, was die Populisten versprechen.

Erst wenn Europas Bürger bereit sind, dieses Tal der Tränen zu durchschreiten, besteht auch Hoffnung auf ein nachhaltiges Ende der Krise. Der Zorn allein macht alles nur schlimmer. (Eric Frey, DER STANDARD, 25.2.2013)