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Foto: EPA/YOAN VALAT

Seit der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) am Dienstag einer lesbischen Frau das Recht eingeräumt hat, den Sohn ihrer langjährigen Partnerin an Kindes statt anzunehmen – und damit in Teilen des Europaratsraums den Weg für die Stiefkindadoption Homosexueller geebnet hat – ist die Welt für manche Experten nicht mehr in Ordnung.

Die Höchstgerichtsentscheidung, die aufgrund von Artikel 14 (Verbot der Diskriminierung) und Artikel acht (Recht auf Privat- und Familienleben) der Europäischen Menschenrechtskonvention gefällt worden ist, beende zwar die Benachteiligung für erwachsene Homosexuelle. Aber dafür leite sie für zu adoptierende Kinder diskriminierende Zeiten ein, meinte etwa der Innsbrucker Psychologe und Psychotherapeut Heinz Zangerle im STANDARD.

Denn, so Zangerle im Namen einer Kinderpsychologie, die Homosexuelle als geeignete Eltern prinzipiell ausschließt: In der öffentlichen Diskussion dominierten die Interessen der gleichgeschlechtlichen Paare. Für die betroffenen Kinder stelle sich hingegen die Frage, ob ihnen nicht "der legitime Anspruch auf ein natürliches Aufwachsen mit Vater und Mutter grundsätzlich verwehrt" werde.

Vater, Mutter, Kind = "natürlich"

"Natürliches Aufwachsen", formuliert Zangerle. Er schreibt es so en passant – dabei handelt es sich hierbei um eine seiner zentralen Botschaften. Diese lautet: Vater, Mutter, Kind = Natur, also richtig; alles andere = unnatürlich, also falsch. In der ÖVP und weiter rechts, also dort, wo man besonders auf Erhalt der "heilen Familie" setzt, dürfte das als Gleichung derzeit unhinterfragt und unhinterfragbar sein.

Doch eine solche Sicht der Dinge schließt große Teile der real existierenden Kindheiten als "unnatürlich" aus. Eine solche Sicht der Dinge verweigert sich der Realität: Etwa, wenn Frauen oder Männer Kinder allein aufziehen, sei es, weil sie es so wollen oder weil der/die PartnerIn sie verlassen hat oder gar gestorben ist.

Oder, wenn Großeltern oder andere Verwandte sich um den Nachwuchs kümmern, weil die Eltern nicht zur Verfügung stehen – so wie es angesichts der ökonomischen Ungerechtigkeiten, die ganze Generationen Jüngerer aus armen Staaten zur Arbeitsmigration zwingt, in vielen Regionen gang und gäbe ist. Die Zahl der neuen Familien der Lesben und Schwulen ist im Vergleich dazu äußerst gering.

Lesben und Schwule auch "liebevoll"

In dieser die Homosexuellen ausschließenden Krassheit wollte der Wiener Kinder- und Jugendanwalt Anton Schmid die Aussagen von Zangerle offenbar doch nicht stehen lassen. Er reagierte im STANDARD tags darauf - mit einer pseudotoleranten Warnung: Zu vermeiden sei, "Kinderrechte versus Erwachsenenrechte" aufzurechnen und aus der Frage der Homo-Ehe und Homosexuellenadoption einen ideologischem Kampf zu machen, schrieb er. So weit, so richtig.

"Bei näherer Betrachtung" nämlich, so Schmid, zeige sich, dass Kinder- und Erwachsenenrechte "einander keineswegs so eklatant widersprechen". Denn "selbstverständlich" könnten auch schwule, lesbische und Transgender-Paare "genauso liebevolle Eltern sein wie heterosexuelle". Das Recht Homosexueller, Stiefkinder zu adoptieren, sei daher zu befürworten.

Mit-Diskriminierung der Kinder

Die Fremdkinderadoption sieht Schmid allerdings anders. Denn den Kindern, die "in einer homophoben Welt" neu in die Familie kommen, werde ein Leben als Mit-Diskriminierte aufgezwungen. Und sie würden in besondere Identitätsprobleme gestürzt. Und für diese seien sei anfälliger als andere Kinder, weil sie in ihrer Biographie schon die traumatische Trennung von ihren "leiblichen" Eltern erlebt hätten – um dann noch dazu von "nicht 'normalen' Eltern" (mit dem Zitat meint Schmid Lesben oder Schwule) aufgenommen worden zu sein.

"Ich hoffe aber, dass in 20 bis 30 Jahren eine derartige Diskussion obsolet ist und Kinder mit ihren homosexuellen Adoptiveltern keine zusätzlichen Belastungen seitens ihres Umfeldes mehr erleben müssen", meint Schmid abschließend. Das klingt bedauernd und verständnisvoll, ist aber perspektivlos und ausschließend.

Homo-Adoption erst zu St. Nimmerlein

Denn Schmid schlägt hier im Grunde vor, die Einführung der Lesben- und Schwulenadoption, wie sie auch heterosexuellen Paaren zusteht, auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Die Welt habe sich zuerst zu verändern, die Gesellschaft insgesamt der Vorurteile gegen Homosexuelle erst zu entsagen, bevor man Männern- und Frauenpaaren "Fremdkinder" gewährt, meint er. So, als müsse man erst den Apfelbaum reif werden lassen, bevor man den Apfel zum Verzehr freigibt.

Doch so einfach ist das auch wieder nicht: Die Vorurteile gegen Homosexuelle als Elternpaare werden nur schwinden, wenn man Lesben und Schwulen die Möglichkeit gibt, sich als Mütter und Väter zu bewähren. Nur so kann und wird sich das gesellschaftliche Klima entspannen, das von Schmid beklagt wird und Adoptivkinder derzeit angeblich so belastet.

Ein Blick nach Norden würde helfen

Um den Prozess der Normalisierung homosexueller Elternschaft zu beobachten, müsste Schmid nicht weit blicken: Skandinavien, wo Lesben und Schwule wie Heterosexuelle adoptieren dürfen, bietet sich dazu an. Oder auch Spanien, sowie - in Kürze – Frankreich und Großbritannien.

Doch der Kinder- und Jugendanwalt verharrt offenbar lieber in der engen Welt österreichischer Experten und bezeichnet eine Kindheit mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren als "nicht normal". Womit er gar nicht so viel anders als der Homo-Ehen-Gegner Zangerle argumentiert. Wenn das die Bandbreite psychologischer und Sozialarbeiter-Meinungen zu diesem gesellschaftspolitisch brisanten Thema sein sollte, so könnte Schmids 20- bis 30-Jahre-Prophezeiung für Österreich womöglich wirklich halten. (Irene Brickner, derStandard.at, 23.2.2013)