Harald Frey (li.) und Rüdiger Maresch im Gespräch über Verkehr in Wien.

Foto: Der Standard/Robert Newald

STANDARD: Die Wiener Linien feiern jedes Jahr neue Fahrgastrekorde. Muss die Stadt eigentlich aufpassen, dass nicht zu viele Leute auf einmal auf die Öffis umsteigen?

Frey: Ich denke, es sind noch 20 Prozent Puffer drin im System.

Maresch: Wir haben, wie viele andere Großstädte, Probleme in der Hauptverkehrszeit, weil die Busse, die Straßenbahnen in unregelmäßigen Abständen daherkommen. Der Bus 13A ist ein Paradebeispiel: Er wird von Autos behindert, man wartet zum Teil 20 Minuten auf ihn, und dann kommen vier hintereinander.

STANDARD: Welcher Paradigmenwechsel ist zwingend notwendig?

Frey: Dass Stadterweiterung nicht nur U-Bahn-Bau bedeutet: Ein Kilometer kostet 200 Millionen Euro. Straßenbahn ist das wichtigste Zukunftsprojekt der Stadt.

STANDARD: Ist es dann klug, nach Oberlaa eine U-Bahn zu bauen?

Maresch: Das war so schon vor der Koalition ausgemacht. Jetzt ist es wichtig, auch den Oberflächenverkehr zu verdichten.

Frey: Man hat vier Jahrzehnte lang U-Bahnen gebaut und war damit relativ erfolgreich. Jetzt aber schießt man übers Ziel hinaus. Meiner Meinung nach ist mit der Verlängerung der U1 und der U2 die Geschichte vorläufig abgeschlossen.

Maresch: Jetzt geht es um Beschleunigungsmaßnahmen. In Zürich etwa schalten Ampeln auf Grün für die Straßenbahn. Wir prüfen das für den 43er. Es kann nicht sein, dass eine Straßenbahn bei jeder Ampel steht.

STANDARD: Kommt Wien an der Citymaut überhaupt vorbei?

Maresch: Meiner Meinung nach nein.

Frey: Ich sage Ja.

Maresch: Du glaubst, wir brauchen sie nicht?

Frey: Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, wie wirksam andere Maßnahmen sein können.

Maresch: Es gibt Spielraum bei der Parkraumbewirtschaftung. Aber ich glaube nach wie vor, dass die Citymaut langfristig was bringt.

Frey: Ein großes Problem bei der Reduktion der Autos in Wien ist die Stellplatzverpflichtung: Es ist gesetzlich vorgeschrieben, für jede neue Wohnung einen Parkplatz mitzubauen.

STANDARD: Die wurde auf 0,7 Parkplätze pro Wohnung reduziert.

Frey: Für einzelne Projekte und nur mit Gemeinderatsbeschluss. Die Reichsgaragenordnung wurde noch von Hitler installiert. Die Politik ist hier nicht sehr flexibel.

Maresch: Da hast du recht. Wer an der Oberfläche billig parken kann, wird keine Garage mieten.

Frey: Mit dem Parkpickerl garantiert ihr den Leuten einen Parkplatz um wenig Geld, deswegen parken alle oben, und wir bauen Garagen, die wir nicht brauchen.

STANDARD: Wie wichtig ist der Ausbau der Schnellbahn?

Maresch: Der wäre sehr sinnvoll. Allerdings gibt es für manche Strecken keine Einigung über die Finanzierung zwischen Wien und Niederösterreich.

STANDARD: Ist die Jahreskarte zu 365 Euro denn haltbar?

Frey: Die Frage ist: Woher kommt das Geld, und entstehen für die Politik Abhängigkeiten?

Maresch: Wir müssen Mittel aus der Parkraumbewirtschaftung verwenden, um die Öffis auszubauen und aufzuwerten. Man muss sich daran gewöhnen, dass Autofahren etwas kostet.

STANDARD: Viele Menschen sind aber auf ihr Auto angewiesen.

Maresch: Das ist ein Henne-Ei-Prinzip: In Wiener Neudorf etwa gibt es einen Bus, der fährt nicht nach 21 Uhr. Wenn ich nachfrage, warum, heißt es, dass keiner damit fahren würde. Also müssen alle das Auto nehmen. Und deswegen gibt es nachts keinen Bus.

Frey: Ich glaube, dass nicht mehr als fünf bis zehn Prozent des Autoverkehrs notwendig sind.

Maresch: Innerhalb des Gürtels braucht man so gut wie nie ein Auto, außer man hat ein Gebrechen oder muss etwas transportieren.

STANDARD: Wie sieht es mit Verbesserungen für Radfahrer aus?

Maresch: Es muss Strecken geben, wo man schnell fahren kann. Auf der Mariahilfer Straße etwa wird es nicht gehen, hier müssen Radfahrer auf Fußgänger Rücksicht nehmen. Aber auch die Fußgänger müssen sich emanzipieren.

Frey: Es braucht eine neue Planung von Rad- und Fußwegen. Man ist dazu übergegangen, die Reglements vom Autoverkehr auf den Radverkehr zu übertragen. Diese Überreglementierung verursacht eine Pseudosicherheit.

Maresch: Wir haben in Wien 1200 Ampeln, die Frage ist, ob wir alle brauchen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich die Emotionalität beim Thema Auto?

Frey: Weil das Auto auf ganz tiefe evolutionäre Schichten bei uns anspricht. Es ermöglicht Fortbewegung im Sitzen mit enorm hohen Geschwindigkeiten. Das erzeugt emotionale Bindung.

Maresch: Da wird medial die angebliche letzte Freiheit verteidigt.

Frey: Autofahren ist wie eine Droge. Wenn man etwas wegnimmt, entstehen Entzugserscheinungen. Aber die Leute sind nicht böse – sie verhalten sich so, wie die Verkehrsplanung es ihnen vorgibt. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 23./24.2.2013)