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Händedrücken statt Parlamentsdebatte: Noch-Premier Borissow lässt sich vor dem Abgeordnetenhaus in Sofia von Anhängern feiern.

Foto: REUTERS/Stoyan Nenov

Sofia/Istanbul - Zur Abstimmung schaute er dann doch noch kurz ins Parlament, dankte der Form halber den Abgeordneten für die Zustimmung zum Rücktritt seiner Regierung, bevor ihn ein Zuruf aus dem Plenum aus der Fassung bringt. Wüste Anschuldigungen entfahren Boiko Borissow, die Partei der türkischstämmigen Bulgaren habe seine Ermordung geplant, ruft er aus. Die Partei möge die Dokumente eines befreundeten ausländischen Geheimdienstes ansehen, empfiehlt der Premier der Fraktion der DPS, und dann an alle im Saal gerichtet: "Ich will euch nicht länger hören." Sagt' s und stürmt hinaus.

Boiko Borissow interessiert das Parlament nicht mehr, das der Staatschef wenig später auflösen wird. Er hat schon auf Wahlkampf geschaltet. Draußen vor dem Abgeordnetenhaus in Sofia warten diesen Donnerstagmittag wenige tausend Anhänger, die "Boiko" rufen und "Sieg". Städtische Angestellte und Bauern sind darunter, die Klientel der Borissow-Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (Gerb).

Volkstribun ohne Geduld

Borissow lässt sich von seinem Innenminister ein Megafon reichen und ruft zur Besonnenheit auf. Er wolle niemanden in Positano sehen, mahnt er - vor dem Sitz der sozialistischen Partei BSP in der Positano-Straße in Sofia. Dann drückt er ein paar Hände und hat auch schon wieder genug. Ein Volkstribun, dem die Geduld mit dem Volk ausgegangen ist.

Der 53-Jährige, der am Mittwoch nach Tagen gewaltsamer Straßenproteste kurzerhand den Rücktritt seiner Regierung erklärt hatte, will nun alles schnell hinter sich bringen: die zwei, vielleicht drei Monate Wahlkampf, die Abrechnung mit der Opposition; den Sieg, auf den er setzt.

In knapp vier Monaten wären ohnehin regulär Parlamentswahlen angestanden. Doch Borissow wollte nicht mehr warten. Die Demonstrationen gegen hohe Stromkosten und Wirtschaftsmonopole, die Vermummten, die den Kampf mit der Polizei suchten - alles scheint ihm ein abgekartetes Spiel. Vergangenen Dezember schon hatte Sergej Stanischew, der Ex-Premier und Chef der Sozialisten, im Parlament angedeutet, man werde Borissow durch eine Revolution stürzen.

Am Nachmittag tritt der Staatspräsident auf. Rosen Plewneliew gibt den Fahrplan aus Bulgariens politischer Krise vor, er will sich nicht vom Premier zur Eile antreiben lassen. Heute, Freitag, ruft der Präsident zunächst die Führer aller Parlamentsparteien zu Konsultationen zu sich - alle gemeinsam an einen Tisch, präzisiert er, damit es später keine Spekulationen über "geheime Koalitionen" gebe.

Am Ende Interimsregierung

Kommenden Montag will Plewneliew dann zuerst Borissows Gerb-Partei als stärkster Kraft den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung geben. Dabei möchten sich weder das Borissow-Lager noch die Sozialisten oder die Partei der Türkischstämmigen erklärtermaßen an einer Regierungssuche beteiligen. Bleibt es dabei, wird Plewneliew eine Interimsregierung zusammenstellen müssen, die Neuwahlen organisiert - Ende April oder Mitte Mai nach den Ostertagen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 22.2.2013)