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Überraschendes Bekenntnis von Michel Barnier: Wasser ist ein Gemeingut, Versorgung sollte im öffentlichen Bereich bleiben. 

Foto: Reuters/Thierry Roge

EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier weist im STANDARD-Interview die Kritik an ihm scharf zurück, er wolle mit einer neuen Richtlinie zur Konzessionsvergabe die Privatisierung der Wasserversorgung vorantreiben. Hier werde von Leuten, die gegen Transparenz bei der Auftragsvergabe und bei Verträgen sind, bewusst falsche Informationen verbreitet. Er bekenne sich dazu, dass Wasser ein Gemeingut sei, das auch am besten in kommunaler Hand bleibe. Städte und Gemeinden seien völlig frei darin, sich für ihr Unternehmensmodell bei der Versorgung zu entscheiden, nicht nur beim Wasser, auch bei Energie, Müllentsorgung oder Transport. Die EU zwinge niemand zur Privatisierung.

Wenn man aber solche Leistungen in Privatunternehmen überführe, dann müsse es in Zukunft ganz klare, binnenmarktkonforme Regelungen geben, und auch eine Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung, wenn eine Firma privatwirtschaftliche Tätigkeiten ausübe. Es sei ja auch so, dass große Stadtwerke über EU-Grenzen hinweg tätig werden. Dafür brauche es Regeln. Nur im Wasserbereich will Barnier ein (kleines) Zugeständnis machen: Wenn Stadtwerke mehrere Leistungen anbieten, so soll (nur) die Wasserversorgung von der Ausschreibungspflicht ausgenommen werden, sofern der Versorger nachweisen kann, dass er als Monopolist im Auftrag und unter Kontrolle der Kommune  agiert. Dafür muss aber ein transparentes eigenes Abrechnungssystem vorgewiesen werden.

STANDARD: Man wirft Ihnen vor, dass Sie mit der geplanten EU-Richtlinie zur Konzessionsvergabe die Wasserversorgung in Deutschland und Österreich privatisieren wollen. Haben Sie da versäumt, ein so komplexes Thema für die breite Öffentlichkeit verständlich aufzubereiten?

Barnier: Man kann bei der Information und Erklärung immer noch mehr tun. Und ich behaupte ja gar nicht, dass die Kommunikation der EU-Kommission perfekt ist. Aber wir haben es in juristischer Hinsicht tatsächlich mit einem sehr komplexen Thema zu tun.  Das erklärt vielleicht dieses Bedürfnis nach Aufklärung, wie auch das Vorliegen einiger Missverständnisse. Wahrscheinlich gibt es aber auch Leute, die Interesse daran haben, falsche Informationen zu verbreiten. Die Bürger haben das Recht auf eine klare und richtige Information. Daher bin ich froh dass wir reden.

STANDARD: Die Regierung in Wien plakatiert in der ganzen Stadt, dass sie den öffentlichen Verkehr,  das Wasser, kommunale Dienste vor Privatisierung schützen will.

Barnier:  Ich sage ganz klar, diese Richtlinie zur Vergabe von Konzessionen hat nicht das Ziel oder die Konsequenz, die Versorgung mit Wasser zu privatisieren. Das ist nicht die Absicht der Kommission. Und wer das behauptet, der kennt auch mich sehr schlecht. Ich hatte persönlich nie diese Absicht. Der vorliegende Entwurf anerkennt ganz eindeutig die Freiheit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet, und betont die Autonomie der lokalen Gemeinden. Die Staaten und die Kommunen bestimmen heute, was sie als gemeinnützige Wirtschaft betrachten, und das werden sie auch in Zukunft weiterhin tun.  Sie sind es, die die Wahl treffen, welche Modalitäten für sie am angemessensten sind.

STANDARD: Wer garantiert das? Kritiker sagen, es gehe um Privatisierung durch die Hintertür.

Barnier: Das ist in den EU-Verträgen und im Protokoll 26 garantiert. Es gibt kein europäisches Recht, das dieses Prinzip aufheben könnte, insbesondere nicht durch mich. Ich halte fest, die lokalen Einrichtungen, die Kommunen sind völlig frei darin, ihren Bürgern das Trinkwasser auf eine Weise zur Verfügung zu stellen, wie sie das für richtig halten, sei es unternehmerisch in Form der Stadtwerke oder von Zweckverbänden zwischen Gemeinden. Sie haben dabei volle Freiheit. Wenn aber ihre Wahl so ausfällt, dass sie eine Konzession an einen externen Betreiber auslagern, zum Beispiel einen privaten Unternehmer, dann ist klar, dass das im Interesse der Bürger geschehen muss, die ihre Beiträge leisten. Die Bürger und die Konsumenten sind dabei ja dieselben. Das muss aber nun in voller Transparenz erfolgen, und in nicht-diskriminierender Weise.

STANDARD:  Bei der Volksbefragung in Wien geht es nicht nur ums Wasser, da wird auf Plakaten auch der öffentliche Verkehr angesprochen, den man schützen müsse. Ist  das  reiner Populismus, bewusste Falschinformation, wie werten sie das?

Barnier: Ich habe hier vor mir die Petition der europäischen Bürgerinitiative zum Recht auf Wasser. Ich finde das sehr gut, dass Bürger mit dem EU-Vertrag von Lissabon ihre Wünsche zum Ausdruck bringen können. Ich kann diese Petition unterschrieben, als Politiker und als Bürger. Mit Ausnahme eines Punktes, in dem es heißt, dass die Versorgung mit Trinkwasser und die Wasserressourcen nicht den Regeln des Binnenmarktes unterworfen werden dürfen. Da muss man aufpassen,  wir brauchen europäische Regeln zur Qualität des Wassers, und auch zur Transparenz.

STANDARD: Warum haben die Leute dann solche Angst?

Barnier: Ich bin kein europäischer Technokrat. Ich komme aus Savoyen, habe zwanzig Jahre politischer Erfahrung auf regionaler Ebene. Von der Landschaft her ist das sehr vergleichbar mit Bayern oder Österreich. Ich weiß, was Wasserqualität heißt, das kann ich Ihnen aus ganz persönlicher Erfahrung sagen. Ich persönlich ziehe es auch vor, wenn die Wasserversorgung im öffentlichen Bereich vorgenommen wird, und nicht privat. Wir reden von einem öffentlichen Gut. Ich verstehe sehr gut die starke Bindung an das Wasser.  Vielleicht gibt es diese Verunsicherung aber auch, weil einige der Akteure sich nicht den Regeln der Transparenz unterwerfen wollen. Die schätzen Transparenz von Verträgen nicht, und also werden falsche Informationen verbreitet. Ich bin nicht schockiert von der Debatte.

STANDARD: Welche rechtlichen Sicherheiten wollen sie bei der Konzessionsrichtlinie denn abgeben für den Bereich Wasser?

Barnier: Es gibt grundsätzlich drei Optionen von Unternehmenskonzeptionen, die man unterscheiden muss, damit man weiß wovon man spricht. Da sind zuerst einmal die kommunalen Unternehmen, die die Wasserversorgung vornehmen,  die öffentlich sind, im öffentlichen Eigentum stehen, mit der Gemeinde verbunden sind und die die Bürger direkt versorgen. Die sind von der neuen Richtlinie überhaupt nicht betroffen.

STANDARD: Wer wäre direkt betroffen?

Barnier: Dann gibt es eine zweite Kategorie, sagen wir Stadtwerke, die bereits privatisiert oder ausgegliedert sind, und die nicht nur in ihrem Herkunftsland wie Österreich oder Deutschland operieren, sondern auch in anderen EU-Staaten. Sie agieren als normale Marktteilnehmer. In diesem Bereich brauchen wir ganz klar Regeln von Transparenz und Nichtdiskriminierung. Das betrifft den Binnenmarkt, der kann ohne solche Regeln nicht funktionieren. Ich möchte betonen, dass das ja auch im Interesse dieser österreichischen und deutschen Unternehmen, der Stadtwerke, ist. Wenn es keine gleichwertige Konkurrenz gibt, würden sie ja vom Markt ausgeschlossen werden, es kann üble Gründe dafür geben, Korruption. Ich meine, es sollten also auch diese Stadtwerke selber großes Interesse an Transparenz haben.

STANDARD: Der Streit geht aber um die Stadtwerke zu Hause

Barnier: Da gibt es eben eine dritte, viel komplexere Kategorie von Unternehmen, die mit der Kommune verbunden sind, wenn gleich mehrere Sektoren wie Wasser, Müllentsorgung oder Energie multifunktional  angeboten werden, und die auf liberalisierten Märkten wie zum Beispiel bei der Energie im Wettbewerb stehen. Diese Unternehmen bieten ein Bündel von Serviceleistungen an, nicht nur in eigenen Gemeinden, sondern als Dienstleistung auch für andere Gemeinden gleich mit. Da haben wir durch die Debatte ein besseres Verständnis entwickelt, und dazu soll es nun auch einige Klarstellungen geben.

STANDARD: Was bieten Sie an?

Barnier: Ich bin bereit zu akzeptieren, dass eine klare und dauerhafte Lösung gefunden wird für die spezifischen Vorbehalte, die in Österreich und Deutschland geäußert wurden. Das soll für jene Art von Stadtwerken gelten, die mehrere Sektoren betreuen, indem sie zum Beispiel traditionell die Wasserversorgung vornehmen und dabei ein Monopol in ihrer Gemeinde haben,  die daneben aber auch ein Geschäft wie Müllabfuhr oder Transport betreiben, bei dem sie der Konkurrenz der Märkte ausgesetzt sind. Derzeit ist die Regel so, gemäß Entscheiden des Europäischen Gerichtshofes, dass diese Unternehmen direkte Verträge ohne Ausschreibung abschließen können, unter zwei Bedingungen: Sie müssen voll unter Kontrolle der Gemeinde stehen und 80 Prozent ihrer Aktivitäten nur für die Gemeinde ausführen.

STANDARD: Was würden sie ändern bzw. präzisieren?

Barnier: Dank der Debatten mit EU-Abgeordneten aus Österreich und Deutschland habe ich die Sorgen besser verstanden. Das Problem ist, dass diese Unternehmen kaum auf 80 Prozent der Leistungen kommen, wenn sie in mehreren Sektoren tätig sind. Das sollten wir nun klären, indem wir sagen, man kann die Ausnahmeregelung auch dann anwenden, wenn sich diese 80-Prozent-Schwelle nur auf die Wasserversorgung  bezieht, und nicht auf den gesamten Umsatz des Unternehmens.  Das setzt natürlich voraus, dass diese Unternehmen eine getrennte Abrechnung vornehmen, um das nachzuweisen. Wenn das Unternehmen beim Wasser mehr als 80 Prozent der Umsätze mit Leistungen für die Stadt oder die Gemeinde macht, dann findet die RL keine Anwendung. Ich bin bereit, das anzupassen. Das soll übrigens auch dann gelten, wenn ein Unternehmen für mehrere Kommunen tätig wird, in Gemeindeverbünden.

STANDARD: Haben sie dafür schon konkrete Beispiele, wie wird das etwa für Wien sein?

Barnier: ich denke, dass diese Regelung dann klar wäre. Wenn ein Unternehmen weniger als 80 Prozent seiner Leistungen für die Stadt erbringt, hat es nicht länger ein Monopol und ist es von der Richtlinie nicht ausgenommen.

STANDARD: Also diese weitere Ausnahme gilt nur für Wasser?

Barnier: Ja. Wenn die Stadtwerke, die multifunktional tätig sind, auch darstellen können, dass das Wassergeschäft mit der 80-Prozent-Regel  vereinbar ist, dann reicht das aus. Dann können weiterhin direkte Verträge über Konzessionen abgeschlossen werden, ohne Ausschreibung.

STANDARD: Bis wann sollte das umgesetzt werden?

Barnier: Wir hoffen, dass wir die Verhandlungen noch unter irischer Präsidentschaft abschließen können. Ich bin bereit, den genannten Änderungsvorschlag der Abgeordneten und des Parlaments zu akzeptieren. Der Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission kann jederzeit beginnen. Ich denke, dass diese Klarstellung zu Wasser wichtig ist. Die Demokratie hat ihre Funktion erfüllt, die Einwände werden berücksichtigt. Es ist so, dass diese Probleme nur in einigen Ländern so gravierend gesehen werden. Ich war in Berlin, in München, und habe mir das erklären lassen.

STANDARD: Was ist ihre persönliche Position in der Frage der Wasserprivatisierung.

Barnier: Es gibt da viele Missverständnisse. Ich bin da sehr aufmerksam. Ich habe zu keiner Zeit, als Politiker und als Bürger, einer Privatisierung des Wassers das Wort geredet. Das widerspricht auch meiner Überzeugung. Ich bin für die soziale Marktwirtschaft, aber kein Ultraliberaler.

STANDARD: Wie sieht es aus mit Ausnahmen für kleinere Kommunen, die zusammenarbeiten bei der Versorgung.

Barnier: Das hängt davon ab, welche Art der Kooperation sie meinen. Wenn das vertikaler Natur ist, wenn als zum Beispiel zwei Gemeinden ein Unternehmen gründen, um eine bestimmte Dienstleistung auszuführen, sagen wir Müllabfuhr, dann ist es von der Richtlinie ausgenommen. Wenn es um horizontale Kooperation, also etwa mehrere Gemeinden gemeinsam eine Konzession vergeben, um eine bestimmte Dienstleistung auszuführen, dann ist das auch von der Ausschreibungspflicht ausgenommen. Was grundsätzliches dazu: ich will überhaupt nicht, dass die Kooperationen auf den kommunalen Ebenen, dort wo das gut funktioniert, geschwächt werden oder konterkariert. Worum es geht ist Transparenz zu schaffen, wo es sie bisher nicht gab. Ich kenne diese Probleme sehr gut aus meinem Land. Es gab Skandale, die mit der Vergabe von Konzessionen verbunden sind, es gab Korruption. Wir haben derzeit in Europa keine klaren Regeln für die Konzessionsvergabe. Ich bin der zuständige Kommissar für den Binnenmarkt, es gibt ein recht auf diese Transparenz für alle Unternehmen, die am Markt beteiligt sind. Das müssen wir klarstellen.

STANDARD: Werden die Proteste zurückgehen?

Barnier: Ich hoffe, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es keineswegs um die Privatisierung geht, sondern um die Schaffung von Transparenz im Interesse der Bürger und der Konsumenten.  Wir reden von Fällen, in denen die öffentliche Hände private Unternehmen beschäftigt, nur darum geht es. Transparenz und Nichtdiskriminierung, das sind die grundsätzlichen Regeln unseres Binnenmarktes, darauf gibt es ein Recht, für die Bürger, für die Konsumenten, für die Unternehmen.

STANDARD: Warum hat es bisher bei Konzessionen keine Regelung gegeben?

Barnier: Das ist eine Lücke, das ist für viele etwas Neues. In einigen Ländern waren die Konzessionen lange Zeit ein Werkzeug ausschließlich für den öffentlichen Sektor, das hatte eben jahrzehntelange Tradition. Aber: Beim Wasser bin ich bereit, Klarstellungen vorzunehmen. Trotzdem sollte man nicht vergessen, auch in diesem Sektor sollte es in Bezug auf Qualität und Transparenz klare Regeln geben, die dem Binnenmarkt entsprechen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 22.2.2013)