Doch, Handlungsbedarf bei den Rechten von Homosexuellen in Österreich herrscht durchaus. Diese Erwiderung muss man sich in der ÖVP, wo man genau das gestern noch abgestritten hat, jetzt gefallen lassen.

Denn obwohl es in dem am Dienstag veröffentlichten Straßburger Urteil ausschließlich um die Stiefkindadoption unverheirateter gleichgeschlechtlicher Paare geht - also weder Lesben und Schwulen die Ehe geöffnet wird noch ihnen gemeinsam Adoptionsrechte gewährt werden: Der Spruch der europäischen Menschenrechtsrichter ist ein Dämpfer für die Selbstgefälligkeit, die die ÖVP seit Einführung der eingetragenen Partnerschaft (EP) in Homosexuellenfragen ergriffen hat. Deren Beschluss war für Österreich zwar epochal, aber die Gleichstellung Homosexueller ist damit noch keineswegs erreicht. Auch abseits der EPs herrscht Ungleichbehandlung.

Dieses Selbstlob war zuletzt in der Reaktion des schwarz regierten Justizministeriums auf den Vorstoß Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hoseks (SPÖ) für völlige Gleichstellung zu erkennen gewesen: Die existierenden Regelungen für homosexuelle Paare in Österreich seien "gut", hieß es aus dem Büro Beatrix Karls.

Das mag so sein, aber nur wenn  man die Benachteiligung gleich geschlechtlicher Paare aus ideologischen Gründen befürwortet, wie Karl es in Reaktion auf den jetzigen Straßburger Spruch ganz offen sagt.

Die Justizministerin will die österreichische Gesetzeslage jetzt nur im nötigen Mindestmaß reparieren. Sie tritt dafür ein, dass die "reguläre Adoption" auch in Zukunft heterosexuellen Ehegatten vorbehalten bleibt. Damit macht sie klar, dass, solange die ÖVP in diesen Dingen führend das Sagen hat, auch die letzten ausständigen Rechte für gleichgeschlechtlich Liebende - jene, die mit Familiengründung und Kinderkriegen zusammenhängen - in Österreich nur mit Trippelschritten angepeilt werden.

Konkret immer nur dann, wenn ein Höchstgericht in diese Richtung entschieden hat: So wie es in Sachen Homosexuellengleichstellung hierzulande immer war, seit diese vor mehreren Jahrzehnten zum Thema wurden. Was Lesben- und Schwulengleichstellung betrifft, war Österreich nie und ist auch nach wie vor nicht wirklich Teil von Westeuropa. Dort nämlich wurden die Öffnung der Ehe und Adoptionsrechte politisch erstritten und durchgesetzt.

Auf diesen Unterschied - und diesen Nachholbedarf - wurde Österreich von den Straßburger Richtern jetzt  erneut hingewiesen, obwohl diese beim Thema Lesben- und Schwulenrechte traditionell ohnehin eher  zurückhaltend sind. Denn sie sind mit 47 Europaratmitgliedstaaten konfrontiert, die - sagen wir - sehr unterschiedliche Zugänge zum Thema Homosexualität an den Tag legen: von den Nachzüglern wie der Türkei und den Balkanstaaten hin zu den Musterschülern wie Schweden und anderen skandinavischen Ländern.

In der Gesamtschau sieht Straßburg daher bis dato keine stabile Rechtsgrundlage, um die großen Brocken Ehe und Paaradoptionsrecht anzugehen. Aber bei den Einzelrechten folgen sie strikt dem Gleichstellungsgedanken: dass Lesben und Schwule das gleiche Recht auf Familienleben wie Heterosexuelle haben. Wenn das bei der Stiefkindadoption jetzt wirklich so eng wie möglich gefasst werden sollte, so gilt erneut: wenn schon Westeuropa, dann nur wider Willen. (Irene Brickner, DER STANDARD, 20.2.2013)