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Erich Schleyer (2.v.r.)  am Volkstheater als Vater einer New Yorker Chaosfamilie - mit (v.l.) Inge Maux, Roman Schmelzer, Claudia Sabitzer und Hans Piesbergen.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Wien - Tony Kushners neues Drama mit dem langen Titel Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift ist eine Grußbotschaft an Europa. An den im Stück ausgetragenen Streitigkeiten einer italienischstämmigen Familie in Brooklyn liest man einerseits die revolutionäre Energie ihrer europäischen Vorfahren ab.

Zugleich aber verlangt Kushner uns Europäern einen anderen Blick auf Amerika ab: einen, der jenseits von Konsum und Ego-shootertum ansetzt und der in ein altes Brownstone-Haus lenkt, wo ebendiese hochpolitische, kampflustige, ideologisch heterogene Familie zusammengekommen ist.

Der Anlass: Der alte Familienvater Augusto Giuseppe Garibaldi Marcantonio (Erich Schleyer), kurz Gus genannt, konfrontiert seine Kinder und Schwiegerkinder mit seinem Suizidplan. Sein Leben sei zu Ende, seine (kommunistischen) Überzeugungen hätten in der Welt von heute keinen Platz mehr. Zuvor möchte er das große Haus verkaufen und das Erbe gerecht verteilen. Die Kinder zucken aus - in den auf der Volkstheater-Drehbühne verschachtelten Bücherregalwänden (Bühne: Wolf Gutjahr): Tochter Emty, eine energische Arbeitsanwältin (Claudia Sabitzer) und ihre hochschwangere Partnerin Maeve (Martina Stilp), Sohn Vinnie (Roman Schmelzer), der als Unternehmer weniger um die väterlichen Utopien als um die väterliche Liebe fürchtet. Und Sohn Pill (Hans Piesbergen), ein schwuler Geschichtelehrer, dessen Ehe mit Paul (Ronald Kuste) von einem jungen Stricher (Robert Prinzler) auf die Probe gestellt wird. Sex gegen Geld, gerechter Lohn also, befriedet die Verhältnisse, findet er.

So denkt auch Papa Gus. Er hat sich Zeit seines Lebens frei nach Bertolt Brecht die "Fragen eines lesenden Arbeiters" gestellt. Sein Leben als Hafenarbeiter und Gewerkschaftsorganisator in New York galt dem Kampf der ausgebeuteten Klasse. Und die Spuren dieses ehrwürdigen Kampfes sind wie die dazugehörigen Gedanken gleichsam in den Körper Erich Schleyers eingesickert (Schleyer spielte schon in Kushners Angels in America in den 1990ern am Wiener Schauspielhaus). Ruhig und duldsam sieht er der Welt zu, selten mehr bereit auszurasten, meist abgekehrt und mit den Episteln des Horaz beschäftigt. Der Hafenarbeiter hat Latein gelernt.

Ratgeber ist ein sattes Stück mit prächtigen Figuren, das nach der Uraufführung 2011 in New York nun in Europa seine Runde macht. Es möge viele Interpretationen dieser amerikanisch-europäischen Schnelldenker- und Vielquatscher-Familie geben.

Was im Titel des Stücks Signalwirkung hat, entpuppt sich im Stück als unaufgeregt: Zur Familie Marcantonio gehören auch homosexuelle Paare, die Regisseur Elias Perrig körperlich präsent inszeniert. Im zweiten Teil bricht das hektische Treiben allerdings spürbar ein. Dennoch: Die letzten Zweifel über die recht theatralische Grundkonstellation des avisierten Selbstmords zerstreut das Ensemble im Verlauf des Abends. Es spielt so entschlossen, dass man ihnen alles glaubt.   (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 18.2.2013)