Die Austritte aus der katholischen Kirche hätten sich nicht auf die Zahl der Buddhisten ausgewirkt, sagt Gerhard Weißgrab im Gespräch im Zen-Tempel der Buddhistischen Religionsgesellschaft.

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STANDARD: Ist der Buddhismus im Westen in erster Linie ein Auffangbecken für frustrierte Christen?

Weißgrab: Das glaube ich nicht. Jemand, der aus der christlichen Religion kommt und in diesem Weltbild irgendwie verankert ist, braucht eine gewisse Zeit, um sich dem buddhistischen Weg anzunähern. Wir sind eher das Auffangbecken für jene, die schon lange keiner Religion mehr wirklich angehören und auf der Suche sind. Die großen Austrittswellen aus der katholischen Kirche hatten für uns keine Auswirkungen (in Österreich leben ca. 20.000 Buddhisten, Anm.). Der Buddhismus ist ein harter Job an sich selbst. Aus dem Grund gehen diejenigen, die vielleicht aus einem Trend heraus kommen, auch schnell wieder.

STANDARD: Was finden die Menschen, die auf der Suche sind, im Buddhismus?

Weißgrab: Die Frage ist weniger, was der Buddhismus den Menschen gibt, sondern was er nicht von ihnen verlangt. Etwa keinen blinden Glauben an irgendein Dogma. So gibt es etwa auch keine Vorschrift, an Wiedergeburt zu glauben. Der Buddhismus hat die Skepsis als Grundlage: genau hinzuschauen, wie die Dinge wirklich sind, und entsprechend dieser Einsicht zu handeln und nicht, sie zu sehen, wie sie ein Gott oder ein heiliges Buch vorgeben. Es ist vor allem ganz wichtig, zu erkennen, dass wir oberflächlich die Welt immer so wahrnehmen, wie wir sie uns vorstellen. Unser Geist erzeugt die Welt, sagt der Buddha.

STANDARD: Vor genau 30 Jahren wurde der Buddhismus als Religionsgemeinschaft anerkannt. War Österreich damals anderen Religionen gegenüber toleranter?

Weißgrab: Ich denke, dass es damals schwieriger war. Auch das Christentum war früher sicher noch fundamentaler. Aber es gab zu dieser Zeit Persönlichkeiten wie Kardinal König und den als Minister zuständigen Fred Sinowatz. Wie immer im Leben hängt vieles von den handelnden Personen ab. Ich denke, dass die Menschen heute viel offener sind, auch wenn in schwierigen Zeiten der Konservativismus zunimmt.

STANDARD: Hat der Buddhismus ein besseres Image als der Islam?

Weißgrab: Ja, wir haben ein tolles Image, das ehrlicherweise nicht nur auf der Realität beruht. Es wird auch viel hineinprojiziert. Auch im Buddhismus ist nicht alles Gold, was glänzt. Was uns von den monotheistischen Religionen unterscheidet, ist, dass es nie Glaubenskriege zur Missionierung gegeben hat. Ansonsten gibt es keine menschliche Blödheit, die nicht auch die Buddhisten vollzogen haben und vollziehen.

STANDARD: Warum meldet sich die Buddhistische Religionsgesellschaft bei gesellschaftspolitischen Debatten praktisch nie zu Wort?

Weißgrab: Das gilt sicher für die Tagespolitik. Unser größtes Handicap sind die personellen Ressourcen. Aber es stimmt, dass wir meiner Ansicht nach zu wenig wahrgenommen werden. Wir wollen auf jeden Fall unser soziales Engagement verstärken.

STANDARD: Angenommen, die Asylwerber hätten nicht die Votivkirche besetzt, sondern einen Tempel. Wie wäre die Buddhistische Religionsgesellschaft damit umgegangen?

Weißgrab: Man hätte sie sicher fürs Erste Zuflucht nehmen lassen. Danach hätte man sich die Situation anschauen müssen. Ich bin nicht sicher, inwieweit es nicht bereits zu Instrumentalisierung gekommen ist. Die Wahrheit liegt immer in der Mitte - selbst das zu erkennen führt noch nicht zur Lösung. Die Maximen des Buddhismus sind Weisheit und Mitgefühl. Den Anspruch ins tägliche Leben zu übertragen ist oft nicht einfach.

STANDARD: Der Buddhismus hat auch Ablehnung erfahren. Der geplante Bau eines Stupa wurde in Gföhl bei einer Bürgerbefragung abgelehnt. Hat Sie das überrascht?

Weißgrab: Ich verstehe meine islamischen Brüder und Schwestern jetzt sehr gut. Mich hat es zunächst völlig unerwartet erwischt. Wenn man genauer hinschaut, hätte es mich aber nicht überraschen dürfen. Wir sind mit einer gewissen Blauäugigkeit herangegangen. Es ist manchmal ein Fehler, wenn man von seinem Vorhaben so überzeugt ist. Daher war es eine wichtige Erfahrung.

STANDARD: Wie erklären Sie, dass bei Umfragen zwei Drittel sagen, dass sie dem Dalai Lama vertrauen, aber nur ein Viertel dem Papst?

Weißgrab: Ich bin in meiner Aussage natürlich befangen. Wahrscheinlich kommt der Dalai Lama authentischer rüber als der Papst.

STANDARD: Der Dalai Lama wurde bei den "Simpsons" einmal als "Elvis der Erleuchtung" bezeichnet. Woher kommt die völlig kritiklose Verehrung im Westen?

Weißgrab: Das stimmt alles. Aber wenn man mit ihm redet, weiß man, dass er das nicht will. Er ist eine Projektionsfläche - und bei 90 Prozent, die ihm zujubeln wie einem Popstar, erfolgt wahrscheinlich nicht die ernsthafte spirituelle Inspiration. Andererseits passiert damit ja auch nicht wirklich etwas Schlechtes.

STANDARD: Aber viele Menschen setzen den Buddhismus mit dem Dalai Lama gleich.

Weißgrab: Richtig, aber das stimmt natürlich nicht. Im Buddhismus gibt es viele Richtungen, und niemand kann weltweit für ihn sprechen. In Wirklichkeit gibt es auch keine Person, die für den gesamten tibetischen Buddhismus sprechen kann - auch nicht der Dalai Lama. Dort gibt es vier Schulen, die hierarchisch voneinander unabhängig sind. Natürlich färbt die umfassende weltliche Funktion, die er in Tibet innehatte, ab.

STANDARD: Bei seinem Besuch im Tibet-Zentrum in Hüttenberg traf der Dalai Lama auch Landeshauptmann Dörfler, der wegen seiner Haltung zu den Saualm-Flüchtlingen kritisiert wurde. War das richtig?

Weißgrab: Das ist sehr schwierig. Ich war auch in Kärnten dabei, und man konnte dem Herrn Dörfler nicht entgehen. Natürlich werden damit zwangsweise Signale gesetzt. Aber ich wüsste nicht, wie man das vermeiden hätte können, wenn der Dalai Lama fast wie ein Staatsbesuch empfangen wird.

STANDARD: Wieso gibt es noch nicht in allen buddhistischen Traditionen die Frauenordination?

Weißgrab: Das ist ein typisches Männerproblem. Im Theravada-Buddhismus ist die Stellung der Frauen vergleichsweise am schlechtesten, auch wenn das in der Lehre mit nichts argumentierbar ist. Im Zen-Buddhismus wiederum gibt es auf der Funktionsebene keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 16./17.2.2013)