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Papst Benedikt XVI. nimmt den Hut - als erster Papst seit Jahrhunderten.

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Kreativ titelte die deutsche "Bild"-Zeitung zur Papstwahl 2005.

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Als "demütig" und "mutig" hat Kardinal Christoph Schönborn Papst Benedikt XVI. bezeichnet, der mit seinem in lateinischer Sprache verkündeten Rücktritt am Montag sogar enge Vertraute im Vatikan völlig überrascht hat. Schönborn unterstrich die Leistungen von Benedikt XVI. während seines knapp achtjährigen Pontifikats. Der Rücktritt sei allein die freiwillige und persönliche Entscheidung des Papstes gewesen. Sich selbst wollte er nicht als chancenreichen Kandidaten für die im März anstehende Papstwahl sehen. "Das ist im Moment kein Thema."

Sicher zu den Top-Favoriten zählt der 71-jährige Mailänder Kardinal Angelo Scola, der zu den vergleichsweise aufgeschlossenen Vertretern im Kardinalskollegium zählt. Der Kirchenexperte Kurt Appel kommentiert den Rücktritt im Standard-Interview als mögliche Initiative von Joseph Ratzinger, zur Entwicklung einer "Rücktrittskultur" beizutragen. 

Nicht mehr beteiligen wird sich Ratzinger bei der Wahl seines Nachfolgers: Er wird sich nach dem Ende seines Pontifikats am 28. Februar aus der  Öffentlichkeit zurückziehen und will seinen Lebensabend in einem Kloster innerhalb des Vatikans verbringen.

 

Rom - Die Nachricht war so überraschend, dass die TV-Moderatorin Manuela Falcone sie zum Auftakt der RAI-Tagesschau um 12.00 Uhr mit so ungläubigem Gesichtsausdruck verlas, als vermute sie einen Faschingsscherz. Mehr als ein verschwommenes Foto des Papstes hatte RAI 3 nicht zu bieten. Die Meldung dauerte wenige Sekunden, dann widmete sich der Sender den Schneefällen in Norditalien. Der Papst tritt am 28. Februar zurück – mehr war nicht zu erfahren.

Minuten später schlug die Nachricht nicht nur in den Redaktionen wie eine Bombe ein, sondern auch im Vatikan. Völlig überrascht eilte Sprecher Pater Federico Lombardi in den Pressesaal, um verblüfften Korrespondenten Rede und Antwort zu stehen.

In einer knapp einminütigen, ohne jede erkennbare Emotion verlesenen, lateinischen Erklärung hatte der Papst gegen Mittag zum Abschluss einer Heiligsprechung seinen unwiderruflichen Rücktritt erklärt: "Ich habe euch zu diesem Konsistorium nicht nur wegen der Heiligsprechung zusammengerufen, sondern auch, um euch eine wichtige Entscheidung für das Leben der Kirche mitzuteilen", sagte er zur Einführung. Und dann: Er habe nicht mehr genug Kraft zur Ausübung seines Amtes, gestand Joseph Ratzinger, der in Kürze 86 wird. In einer Welt, die sich schnell verändere, sei "die Kraft des Körpers als auch des Geistes notwendig", eine Kraft, die in den vergangenen Monaten "derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen".

Die anwesenden Kardinäle zeigten sich ebenso schockiert wie die italienische Öffentlichkeit. Erste Ü-Wagen der TV-Sender parkten am Rande des Petersplatzes, auf dem sich ratlose Menschen sammelten. Die eilends herbeigerufenen "vaticanisti" der italienischen Medien nahmen in den TV-Studios Platz, um ein unerwartetes Ereignis zu kommentieren, das sich zum letzten Mal vor über 700 Jahren zugetragen hatte, als Coelestin V. wieder zum Einsiedlermönch wurde.

Lombardi gestand freimütig, von der Nachricht überrascht worden zu sein. Doch der Papst habe in seinem Interview-Buch Licht der Welt die Möglichkeit eines Rücktritts keineswegs ausgeschlossen: "Wir alle haben in den vergangenen Monaten gemerkt, dass die Kräfte Benedikts XVI. nachlassen", so der Vatikansprecher. Der Papst sei für seine Offenheit zu bewundern. Joseph Ratzinger werde sein Amt bis 28. Februar um 20.00 Uhr normal weiterführen. Dann sei "der Stuhl Petri vakant". Der Dekan des heiligen Kollegiums, Kardinal Angelo Sodano, werde dann ein Konklave zur Wahl des neuen Papstes einberufen: "Bis Ostern wird der Nachfolger feststehen."

Ratzinger geht ins Kloster

Benedikt XVI. werde sich Ende Februar zunächst in den päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo zurückziehen und dann nach entsprechenden Umbauarbeiten in ein aufgelassenes Nonnenkloster innerhalb der vatikanischen Mauern übersiedeln.

Während sich Federico Lombardi sichtlich bemühte, das außergewöhnliche Ereignis als normalen, durch hohes Alter bedingten Entscheidungsprozess zu erklären, schilderte Vatikan-Experte Marco Politi die Stimmung hinter den Mauern des Apostolischen Palasts: "Dort geht es zu wie in einem wildgewordenen Wespennest!"

Nur einer hatte den Rücktritt des Papstes prognostiziert: Der emeritierte Bischof von Ivrea, Luigi Bertazzi, hatte bereits vor einem Jahr den Abgang Joseph Ratzingers als "durchaus wahrscheinlich" bezeichnet und zeigte sich am Montag keineswegs überrascht. "Er hat die Krankheit von Johannes Paul II. aus nächster Nähe miterlebt und ist in hohem Alter zum Kirchenoberhaupt gewählt worden. Da scheint es mir völlig normal, dass jemand an Rücktritt denkt, bevor die Kräfte versagen."

Skandale und Intrigen

Vor einem Jahr hatte Joseph Ratzinger die Chefs der Kurienbehörden um sich versammelt, um mit ihnen die Verantwortung für die Kirchenleitung zu teilen. Sicher fehlte Benedikt XVI. die "Kraft für eine Fortsetzung seines Amtes." Aber der deutsche Papst musste die Kirchenführung auch in besonders schwierigen Jahren übernehmen: Die teilweise vertuschten Skandale um pädophile Priester, die Vatileaks-Affäre – die interne Intrigen und Machtkämpfe im Vatikan weltweit in die Medien brachte –, die Enttäuschung über seinen untreuen Kammerdiener Paolo Gabriele – all das zehrte an den Kräften des deutschen Papstes und sorgte für Enttäuschung.

"Oft erscheint uns die Kirche wie ein sinkendes Boot, das schon voll Wasser gelaufen und ganz und gar leck ist, klagte der Papst vor einem Jahr. Kritiker warfen Ratzinger immer wieder ungeschicktes Agieren auf mehreren Ebenen vor: die ungeschickte Regensburger Rede mit ihren negativen Folgen in der islamischen Welt, das lange Tauziehen mit den erzkonservativen Pius-Brüdern und die Wiederaufnahme des antisemitischen Bischofs Richard Williamson, die überflüssige Karfreitagsbitte, die zu Reibereien mit den Juden führte: All das festigte den Eindruck eines intellektuellen Theologen mit geringen Führungsqualitäten.

Doch der jüngste Schritt des Papstes dürfte ihm wieder einige Sympathien einbringen: Joseph Ratzinger hat sich seine einsame Entscheidung sicher nicht leicht gemacht. Dass eine der mächtigsten Persönlichkeiten der Welt sein Amt mit einer kurzen lateinischen Erklärung niederlegt und damit die gesamte Weltpresse und seine engsten Mitarbeiter überrascht, ist kein alltägliches Ereignis.

Mit seiner Entscheidung macht Benedikt XVI. den Weg zu einer dringenden Reform frei. Entscheidungen könnten in Zukunft nicht mehr in der Hand eines Einzelnen liegen, sondern könnten durch kollektive Entscheidungsprozesse abgelöst werden, eine tiefgreifende Umstrukturierung ist vonnöten.

Die Spekulationen um Ratzingers Nachfolge haben bereits begonnen. Es gilt praktisch als sicher, dass die Führung in die Hand eines vergleichsweise jüngeren Kardinals gelegt wird. (Gerhard Mumelter aus Rom /DER STANDARD, 12.2.2013)