Der Vormarsch der gewaltbereiten Islamisten in mehreren afrikanischen Staaten, die klar erkennbare Bedrohung der Rohstoffversorgung durch fanatische Terrorgruppen und die Infektionsgefahr in so wichtigen Staaten wie Algerien und Ägypten rücken in den Vordergrund der internationalen Berichterstattung.

Die Erleichterung über den schnellen Erfolg der militärischen Intervention Frankreichs in Mali gegen die mörderischen Dschihadisten wird von der Sorge abgelöst, ob  der brüchige Staat angesichts der Größe des Landes (dreieinhalbmal die Fläche Deutschlands) und der ethnischen Zerrissenheit der fast 16 Millionen Einwohner dauerhaft stabilisiert werden kann.

Dass die Bündnissolidarität der Nato und besonders der USA und Deutschlands mit Frankreich in erster Linie rhetorisch gewesen ist, wurde nicht nur in Paris kritisch kommentiert. Auch einflussreiche deutsche und amerikanische Publizisten prangern die strategische Kurzsichtigkeit der EU und der Nato an. Die Zurückhaltung der Politiker entspringt freilich der in weiten Teilen der deutschen und der amerikanischen Bevölkerung vorherrschenden Überzeugung,  dass Konflikte auf irgendwelchen fremden Kontinenten nach den bitteren Erfahrungen in Afghanistan und Irak "uns im Grunde nichts angehen". Die Dimension der islamistischen Bedrohung, dass ein Flächenbrand von Libyen bis Mauretanien letzten Endes auch ganz Europa betreffen würde, wird auch nach den jüngsten Umwälzungen im Touristenparadies Tunesien und in Ägypten erst langsam sichtbar.

Wenn auch die Lage von Land zu Land unterschiedlich ist, zeigt der Ablauf des blutigen Bürgerkrieges in Syrien, dass nach dem Rückzug der USA aus den arabischen Konflikten ein gefährliches Vakuum entstanden ist. Der UN-Vertreter für Syrien, Lakhdar Brahimi, teilte kürzlich in einem schnell bekanntgewordenen internen Bericht mit, dass die Zahl der Toten in Syrien über 60.000 liegt und die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien bald auf eine Million steigen könnte.

Präsident Obama hat nach glaubwürdigen Berichten im Jahr vor der Präsidentenwahl die Empfehlung des Außen- und Verteidigungsministeriums sowie des Geheimdienstes CIA abgelehnt, die syrischen Rebellen zu bewaffnen. Der republikanische Senator John McCain (Präsidentschaftskandidat 2008) hat Obama "schändliche Führungsschwäche" vorgeworfen. Der "New York Times"-Kolumnist Roger Cohen fordert sogar den Einsatz von Marschflugkörpern durch die USA, um die syrische Luftwaffe zu zerstören.

Allerdings weisen gerade amerikanische Nahostexperten wie Robert Malley darauf hin, dass es sich in Syrien bereits um einen regionalen Stellvertreterkrieg, auch um Irak und Libanon handelt. Die Opposition sei eine zusammengewürfelte Truppe von Muslimbrüdern, Salafisten, friedlichen Demonstranten, bewaffneten Militanten, Kurden, desertierten Soldaten, Stammesangehörigen und ausländischen Kämpfern. Auch nach dem Zusammenbruch des Regimes würde man wohl eher Chaos und ein allgemeines Gerangel um die Macht als eine starke Zentralregierung sehen. Im Gegensatz zum westlichen Wunschdenken wird aus dem Frühling des Freiheitsimpulses in der Region ein arabischer Winter der beschleunigten Islamisierung. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 12.2.2013)