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Mehr als 20 Jahre lang soll ein angeblich österreichisches Ehepaar für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR in und gegen Deutschland spioniert haben.

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Moskau/Stuttgart - Im Oktober 2011 waren Andreas und Heidrun A. vom Sondereinsatzkommando GSG9 in Deutschland festgenommen worden. Seit Mitte Jänner 2013 verhandelt das Oberlandesgericht Stuttgart nun einen spektakulären Spionagefall: Mehr als 20 Jahre lang sollen die Eheleute A. für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR in und gegen Deutschland spioniert haben. Und obwohl sie sich als Österreicher ausgaben, sollen sie in Wirklichkeit Russen sein. Dem graumelierten Herrn Mitte 50, der in Funksprüchen "Pit" oder "Sascha" genannt wird, und seiner etwas jüngeren blonden Gattin alias "Tina" oder "Olja" drohen zehn Jahre Haft. Beide schweigen beharrlich zu den Vorwürfen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Stuttgarter Prozess, der bis in den Sommer dauern wird, erlaubt nicht nur rare Einblicke in die Arbeit russischer Geheimdienste, er wirft auch Fragen zu österreichischen Ermittlungen auf, von denen - so ein vergangene Woche vor Gericht verlesener Funkspruch - Moskau im Sommer 2011 erstaunlich früh Wind bekommen hatte.

Staatsbürgerschaftsnachweise ausgestellt

Begonnen hatte alles 1984 in der Obersteiermark. Auf Bitte eines Adolf Slavik, ehemals bei der SS und später wahrscheinlich beim KGB, hatte der Gemeindesekretär von Wildalpen gleich mehrere Staatsbürgerschaftsnachweise ausgestellt. Eines dieser Dokumente lautete auf Andreas A. Dieser angeblich 1959 in Argentinien geborene Auslandsösterreicher heiratet in Altaussee 1990 eine Heidrun F., die ihren Staatsbürgerschaftsnachweis im burgenländischen Hornstein erhalten hatte. Ein Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft soll sich, so die Anklage, beim dortigen Gemeindesekretär dafür eingesetzt haben. Etwaiger Amtsmissbrauch ist in beiden Fällen verjährt.

1988 taucht A. in der BRD auf, zwei Jahre später folgt seine Gattin. Die Familie bekommt eine Tochter, der die Herkunft ihrer Eltern verschwiegen wird. Die Ermittler sind überzeugt, dass Pit und Tina von Anfang an spionierten. Laut verlesenen Funksprüchen sammeln sie unter anderem Informationen über die deutsche Politik. Sie geben aber auch Tipps, wer als Agent angeworben werden sollte. Und sie "führen" einen holländischen Diplomaten, der für Geld EU-Interna zur Verfügung stellt. Inhaltlich wirkt vieles davon nicht berauschend. Moskau sind die Aktivitäten dennoch 100.000 Euro im Jahr wert.

Tipp eines Überläufers

Als das Ehepaar im Oktober 2011 verhaftet wird, so ein deutscher Insider, gibt es erneut eine Wildalpener Vorgeschichte: Ein russischer Überläufer soll eine jener Identitäten aus dem Jahr 1984 verraten haben, ein befreundeter Dienst informiert Wien: Spätestens seit Jänner 2011 ermittelten Österreichs Verfassungsschützer - auch gegen das Ehepaar A. und ihre Tochter. Die Staatsanwaltschaft Leoben, so ein Beschluss des Oberlandesgerichts Graz, stellte dieses Verfahren gegen die mutmaßlichen Spione jedoch im August 2011 ein: Geheimer Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs lasse sich nicht beweisen, ein Urkundendelikt sei verjährt. Letzteres stimmt nicht: Die Verwendung eines erschwindelten Dokuments verjährt drei Jahre nach der letzten Verwendung - doch die Familie hatte sich noch Ende 2008 in Spittal an der Drau Personalausweise ausstellen lassen. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Leoben erklärt, dass die Angabe zur Verjährung nur eine "Teilinformation" sei: Mehr könne sie zu diesem heiklen Fall nicht sagen.

Ein weiterer Aspekt sollte in Wien jedoch für Kopfzerbrechen sorgen. Denn während das Ehepaar A. vor seiner Verhaftung vom österreichischen Verfahren keine Ahnung hat, drängt die russische Geheimdienstzentrale im Sommer 2011 auf eine schnelle Flucht: Eine Enttarnung drohe, auf Druck der Amerikaner könnten die Österreicher, so funkt Moskau, die Pässe und sogar die Ehe annullieren lassen. Abgesehen von der Staatsanwaltschaft Leoben, die nicht einmal das Justizministerium einweihte, und dem Innenministerium wussten damals nur sehr wenige von den Ermittlungen. Von einer möglichen Rolle der USA im Hintergrund war öffentlich nichts bekannt gewesen. (Herwig Höller, DER STANDARD, 11. Februar 2013)