Marc Hall (li.) und Josche Muth sind nicht einer Meinung, worauf es bei der Umstellung auf alternative Energien ankommt.

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STANDARD: Bis 2050 können 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen, sagen Studien. Ist das realistisch?

Muth: Nun, das ist natürlich vor allem ein hehres Ziel, auf das wir hinarbeiten müssen. Aber es zeigt, was in der EU heute zu machen ist, damit wir dieses Ziel erreichen können. 100 Prozent Erneuerbare im Stromsektor ist jedenfalls machbar. Da geht es vor allem um die Strom-Infrastruktur und um die verschiedenen Technologien zur Stromerzeugung.

Hall: Doch ist es eine zu enge Betrachtung. Man muss bei dieser Diskussion immer bedenken: Wir reden beim Strom nur von 20 Prozent des Energiesektors, die anderen 80 Prozent sind sozusagen "Nichtstrom". Die Stromerzeugung in Österreich erfolgt bereits zu 70 Prozent aus erneuerbaren Quellen, ein sehr hoher Wert. Aber in den anderen Bereichen haben wir diese Werte nicht. Wir sollten deshalb in Österreich nicht über die Stromproduktion reden, sondern über die anderen 80 Prozent.

STANDARD: Den anderen Energiebereichen wird also zu wenig Beachtung geschenkt?

Hall: Ja. Wenn man sich Deutschlands Energiewende ansieht: Da geht es um Entkarbonisierung der Stromproduktion und um 'Raus aus Atomkraft'. Beide Probleme haben wir nicht. Zum Beispiel Tirol: Dort kommt der Strom bereits zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Wärme und Transport sind aber hoch fossil. Da muss man ansetzen.

STANDARD: Was also gehört getan?

Muth: Bei allen drei Sektoren - Strom, Wärme/Kälte und dem Transportsektor - muss gesondert evaluiert werden, wie der Bereich dekarbonisiert werden kann.

Hall: Zum Beispiel in den Metropolen. Da ist es keine gute Entwicklung, wenn im Individualverkehr auf Biokraftstoffe gesetzt wird. Das löst nämlich nicht die Probleme eines ausufernden Verkehrs. Im Kern heißt es, dass die öffentlichen Netze - im Wesentlichen auf Schienen geführte Elektromobilität - ausgebaut werden müssen.

STANDARD: Sie sprechen von der Beimischungsstrategie der EU, bei der Biosprit dem fossilen Sprit zugemischt wird. Halten Sie die Strategie für nicht erfolgreich?

Hall: Solange Biokraftstoffe nicht aus Reststoffen hergestellt werden, zum Beispiel aus Reststoffen bei der landwirtschaftlichen Produktion, wird es immer zu einer "Tank oder Teller"-Diskussion kommen.

Muth: Wie es mit der Beimischung weitergeht und ob man bei nur fünf Prozent bleibt oder die Beimischung weiter anhebt, ist in Brüssel in Diskussion. Da gibt es noch keine Einigung. Besonders in den nordischen Ländern gibt es Widerstand, Grenzen bei den Beimischungen einzuziehen.

Hall: Der Biokraftstoff ist zwar bei der Verbrennung klimaneutral, aber in der Stadt verursacht er Immissionen. Mir ist da Erdgas lieber als Biokraftstoff. Ich verstehe die globale Rechnung der Klimaschützer, aber für die Stadt ist das keine Lösung. Auch die Papierindustrie spricht in Anlehnung zum "Tank oder Teller" bereits von "Tank oder Buch", weil Bioenergie die Papierpreise treibt. Also: Es gibt bei solchen Nutzungen immer Eingriffe in ein bestehendes Gefüge und das kann weitreichende Auswirkungen haben.

STANDARD: Selten ist eine Argumentation schlagkräftiger als die zwischen "Tank oder Teller".

Muth: Da würde ich mir aber auch in anderen Bereichen eine Nachhaltigkeitsdiskussion wünschen, nicht nur bei der Energie. Dass Palmöl beispielsweise für Margarine verwendet wird und in der Kosmetikproduktion einfließt, wird kaum diskutiert.

STANDARD: Es gibt also keine große Lösung für eine erneuerbare Energiebereitstellung?

Hall: Eine Lösung wird es nicht geben. Als einen ersten Schritt müssen wir versuchen, Fehler der Vergangenheit zu eliminieren. Zum Beispiel, dass man die Wärme, die bei einem gängigen Kraftwerk in die Atmosphäre entlassen wird, einfängt und nutzt. Das muss im großtechnischen Bereich gemacht werden und im kleinen auch.

Muth: Wir müssen erkennen, dass erneuerbare Energien kapitalintensive Investitionen sind, die sich aber mittel- bis langfristig rechnen.

STANDARD: Welche Lösungen favorisieren Sie bei Energieeffizienz?

Hall: Da wird es nicht das eine einzige perfekte System geben, sondern viele Ansätze. Es muss eine systemische Offenheit geben, und es entscheidet der Wettbewerb, was am besten ist. Und zu viele Sackgassen werden wir uns auch nicht leisten können.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Hall: Nun, wenn man das Beispiel Deutschland hernimmt: Eine solche Überförderung, wie sie im Bereich Photovoltaik passiert ist, das ist schon besonders. Und natürlich fehlt das Geld woanders. Glücklicherweise haben wir es in Österreich dabei bisher nicht übertrieben. Aber die Lehre ist, dass etwas zwar als Anschub gefördert werden kann, die Technologie sich aber so schnell wie möglich am Markt behaupten muss. Sonst kommt es zu enormen Fehlentwicklungen. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, 11.2.2013)