Ein Kind fragt nicht: Warum hat dich der Papa (oder auch die Mama) verlassen? Kinder fragen anders. Kinder fragen zum Beispiel: "Mama (Papa), wenn dich der Papa (die Mama) nicht verlassen hätte, hättest du ihn (sie) dann verlassen?", oder sie fragen sich und uns und haben die Antwort mit der Frage schon mitgeliefert: "Wenn dich der Papa nicht verlassen hätte, dann hättest du ihn wahrscheinlich irgendwann verlassen, oder?"

Hm? Hätte ich? Moment. Ein Kind will Interessenausgleich schaffen, will nicht, dass da einer die Schuld hat und der andere nicht, ein Kind will beide Eltern gleich lieb haben. Gleich viel Liebe, gleich viel Schuld, gleich viel Mama, gleich viel Papa. Alles gut. Kinder geraten gern und schnell in Loyalitätskonflikte. Und die kann ein Kind überhaupt nicht brauchen. Warum ein Kind solche Fragen stellt, liegt also auf der Hand. Was einem Kind aber darauf antworten? Mit allem, was man sagt, erklärt, erzählt, versucht man doch automatisch, ohne viel Zutun Kinder auf seine Seite zu ziehen.

Warum das nicht unbedingt gut ist, liegt schon im Wort "ziehen" begründet. Der "Kaukasische Kreidekreis" fällt einem ein. Da geht es um eine leibliche Mutter und eine Ziehmutter, wo sich, für Brecht, die echte als falsche herausstellt. Die eine zieht und zerrt und die Ziehmutter lässt los - im Interesse des Kindes, das leidet. Aber wie geht das am besten? Loslassen. Nicht ziehen und zerren. Nicht sagen? Was man weiß. Nichts erzählen? Von dem, was passiert ist. Sich nicht erklären? Warum man etwas entscheidet. Kinder vertrösten: Ich erzähle dir alles, wenn du einmal größer bist. Und was heißt hier größer? Mit 12 Jahren, 16, 18, 25 oder erst mit 30?

Und was heißt hier "alles"? Alles bedeutet nur eine Version der Geschichte, nämlich die von der Mama. Oder die vom Papa. Ist uns Eltern klar, wie sehr wir Gefahr laufen, die eigene Version der Wahrheit am Ende selbst zu glauben. Und: Wie viel Geschichte der eigenen Eltern (und nicht nur der geschiedenen) ist Kindern überhaupt zumutbar? Was sollte Geschichte zwischen den eigenen Eltern bleiben? "Alles aufschreiben!", rät mir ein guter Freund. "Aber nicht nur fürs Kind, denn das Vergessen ist ein Hund!" Manchmal auch ein Segen. (Mia Eidlhuber, derStandard.at, 10.2.2013)