Choreografie mit Bürosessel: "Schubladen".

Foto: Brut / Benjamin Krieg

Wien - Die deutsche Performancegruppe She She Pop hat ihre Arbeitsweisen seit Ende der 1990er-Jahre ein wenig verändert. Anstelle der zuweilen gefürchteten Interaktionen mit dem Publikum ist nunmehr die Bezugnahme auf die eigene Biografie zentral geworden. Mit gleichbleibendem Nachdruck aber hinterfragt das Frauenkollektiv Machtstrukturen, verschiebt festgefahrene Perspektiven und arbeitet sich in Themenblöcken an der Gegenwart ab.

Zuletzt haben sie sich in Testament mit ihren Vätern einem performativen Erbvorbereitungskurs unterzogen (genial). In Schubladen, dem aktuellen Stück, geht es um die währende Kluft zwischen Ost und West, die persönliche Sozialisierung in unterschiedlichen politischen Systemen: Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall wühlen She She Pop also in der deutsch-deutschen Beziehungskiste.

In Schubladen auf Rädern wird die hierbei zu zerpflückende Materialfülle auf die Brut-Bühne gekarrt: Bücher, Schallplatten, Alkoholika. "Westdeutsche Frauen trinken Prosecco, ostdeutsche Wodka Gorbatschow": She She Pop zelebrieren die Differenz, huldigen den Vorurteilen ("Frauen aus dem Westen haben früh mit Gott gesprochen, deshalb gehen sie heute so oft zum Therapeuten, der sagt nämlich auch nichts"). Die Texte provozieren und machen in ihrer subtilen Hybris und Gewandtheit Spaß. Und: Der Einzelne zählt, denn das Ich bezieht in den hier herrschenden weltgeschichtlichen Rahmenbedingungen den Platz des Souveräns.

An drei Tischen sitzen sich jeweils eine Ossi- und eine Wessi-Frau wie beim Verhör gegenüber. Sie erzählen und befragen einander, lesen aus Tagebüchern oder dem Pionierkalender vor, präsentieren identitätsstiftendes Liedgut und schwingen sich auf dem Bürosessel gar zu einer denkwürdigen Katarina-Witt-Choreografie auf. Dabei wird gegebenenfalls auch die Austauschbarkeit der Inhalte oder einzelner Vokabel (Kapitalismus, Kommunismus) kenntlich, es geht also nicht um die Bewertung der Systeme, sondern um deren Struktur. Sehr schön! (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 9./10.2.2013)