Das Queren einer Kreuzung bei Rot kann - vor allem wenn es mit einem weiteren Vergehen in Verbindung steht - als schwerwiegendes Delikt gewertet werden und damit gleich zu einer Anzeige führen.

Foto: Heribert Corn/http://www.corn.at

"Mein 19-jähriger Sohn ist im September mit dem Rad zu einer nächtlichen Kinovorstellung gefahren", berichtet eine derStandard.at-Leserin. "Da er spät dran war, hat er den Fehler gemacht, sein funktionierendes Licht nicht einzuschalten und noch dazu kurz vor dem Kino die Straße bei roter Ampel zu überqueren."

Am 24. Dezember flatterte die eingeschriebene Rechnung ins Haus: 175 Euro für beide Vergehen. "Wie ich dem STANDARD von 2009 entnommen habe ('Immer nur abmahnen geht halt nicht', Anm.), zahlte man vor drei Jahren 36 Euro für Fahren bei roter Ampel und 21 Euro für Fahren ohne Licht. Die Forderung an meinen Sohn ist mehr als das Dreifache", wundert sich die Leserin.

400 Euro fürs Fixie

Ähnliches ist in einem Fahrradforum nachzulesen: Eine kurze Fahrt auf dem Gehsteig mit dem Fixie, ohne Seiten-, Pedal-, Vorder- und Rückreflektoren, Klingel, Vorder- und Rücklicht brachte eine Anzeige über 400 Euro ein; das entspricht 50 Euro für jeden Punkt auf der Liste. Der Betroffene berichtet, er habe sein Vergehen eingesehen, darüber hinaus sei sein Fixie sehr wohl mit funktionierendem Licht ausgestattet gewesen.

Im Strafenkatalog ist die "vorschriftswidrige Beschaffenheit oder Ausrüstung von Fahrrädern, Fahrradanhängern oder Kindersitzen" mit 14 Euro angeführt, das "Radfahren auf Gehsteigen und Gehwegen in der Längsrichtung" mit 21 Euro. Für alle genannten Mängel und Vergehen ergibt das in Summe den Betrag von 119 Euro.

Wie kommt es zu dieser Differenz zwischen den im Strafenkatalog aufgelisteten und den tatsächlich eingeforderten Beträgen? Liegt es etwa im Ermessen des einzelnen Polizisten, die Höhe der Strafe zu bestimmen? "Der Polizist hat keinerlei Spielraum", sagt Thomas Keiblinger, Kontrollinspektor und Pressesprecher der Landespolizeidirektion Wien. "Er hat keine Möglichkeit, an der Höhe der Strafe etwas zu ändern."

Organmandat und Organstrafverfügung

Jeder Polizist müsse sich exakt an den Strafenkatalog halten, in dem die Höhe der Beträge für die einzelnen Vergehen aufgelistet ist. Der einzige Spielraum liege darin, bei einem geringfügigen Delikt auf das Kassieren des Geldbetrages zu verzichten und es bei einer Abmahnung zu belassen. All das betrifft ausschließlich das Organmandat, das am Ort des Geschehens unter Wahrung der Anonymität des Schuldigen durchgeführt wird; Stichwort "Anonymverfügung".

Sobald es zu einer Anzeige kommt, wird es dagegen persönlich und teuer. Die "Organstrafverfügung" flattert meist eingeschrieben mit der Post ins Haus und kostet um einiges mehr als das Organmandat. Der Ablauf ist folgender: Der Polizist nimmt den Tatbestand auf und legt eine Anzeige, die gemeinsam mit einem Bericht an den Strafreferenten geht. "Es handelt sich um ein Verwaltungsverfahren", sagt Roman Hahslinger, ebenfalls Sprecher der Wiener Polizei.

Die Differenz der Strafhöhe zwischen Organmandat und Anzeige komme allerdings nicht durch Verwaltungsgebühren zustande. Bei einer Anzeige gibt es einen Strafrahmen mit einem Mindest- und einem Höchstsatz. Die Festlegung des Betrages liegt im Ermessen des Strafreferenten. "Dieser macht sich ein Bild - etwa ob der Betroffene kooperativ war oder vorbestraft ist - und legt die Höhe des Betrages fest", so Hahslinger. "Im oben genannten Fall hielt er 175 Euro für angemessen."

Kein Anspruch auf Organmandat

Ob es bei einem Organmandat bleibt oder zu einer Anzeige kommt, kann der Betroffene selbst nicht beeinflussen. "Es besteht kein Rechtsanspruch auf die Ausstellung eines Organmandats", erklärt Hahslinger. Nur bei einem geringfügigen Delikt wird ein solches angewendet, bei schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen dagegen eine Anzeige gelegt.

Ab wann eine Verwaltungsübertretung schwerwiegend sei, ist laut Hahslinger gesetzlich nicht definiert. Unterschiedliche Aspekte werden herangezogen: So liegt etwa beim Zusammentreffen mehrerer unterschiedlicher Delikte keine Geringfügigkeit vor. Auch das Queren einer Kreuzung in der Nacht bei Rotlicht führt zu einer Anzeige, "weil das äußerst gefährlich ist und gegen die Verkehrssicherheit verstößt", begründet der Polizeisprecher.

Auch wenn die Organstrafverfügung vor Ort nicht bezahlt oder Einspruch gegen sie erhoben wird, wird eine Anzeige gelegt. "Wenn jemand ohne Bargeld und Ausweis unterwegs ist, versuchen wir üblicherweise, die Angelegenheit vor Ort abzuhandeln", sagt Thomas Keiblinger. Polizisten würden Betroffene zwecks Einhebung von Geld und Klärung der Identität sowohl zum Bankomaten als auch in die Wohnung begleiten, sofern diese in der Nähe liege. Dass jemand zur Klärung seiner Identität mit aufs Wachzimmer genommen und dort bis zu sechs Stunden festgehalten wird, kommt laut Keiblinger selten vor: "Das ist eine schwerwiegende Situation, in die wir den Betroffenen bringen", meint er, "da stellt sich schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit."

Einspruch erheben

Wer das Strafmaß bei einem Organmandat oder einer Anzeige als unangemessen empfindet, kann Einspruch erheben. Das erachtet Roman Hahslinger als sinnvoll in dem Fall, dass sich jemand ungerecht behandelt fühlt und zum Beispiel nicht zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort war. Einen Einspruch gegen die Strafhöhe empfiehlt er nur dann, wenn der Betroffene nicht vorgemerkt, also kein Wiederholungstäter ist. Hahslinger: "Wenn ich bei Rot über die Kreuzung gefahren bin, aber schon früher deshalb angezeigt worden bin, wird der Strafreferent sagen: 'Das ist nicht das erste Mal', und dem Einspruch wird nicht stattgegeben."

Jede angezeigte Person hat als "Partei'" übrigens Anspruch auf Akteneinsicht und die Möglichkeit, dem Amt, das die Anzeige ausgestellt hat, Fragen zu stellen. Hahslinger: "So ist es möglich, Informationen zu bekommen, bevor man Einspruch erhebt."

Der Sohn der oben zitierten derStandard.at-Leserin hat Einspruch erhoben. Mit Erfolg, denn kurz darauf wurde eine neue, etwas reduzierte Rechnung über 107 Euro ausgestellt. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 12.2.2013)