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Eine Kundgebung in der marokkanischen Hauptstadt Rabat zum ersten Jahrestag der Revolution in Tunesien: "Jahr der Revolution, Jahr der Hoffnung" stand damals auf Arabisch auf dem Plakat. Die Hoffnung ist ein Jahr später gedämpft.

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Der libysche Justizminister ließ am Mittwoch ein Statement veröffentlichen, das seinesgleichen sucht: Sein Ministerium, so Salah Marghani, bedaure es sehr, dass das neue Libyen versagt habe, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen, die die Tyrannei Muammar al-Gaddafis gestürzt hätten. Die Erklärung wurde bei einer Pressekonferenz von Human Rights Watch verlesen, bei der die auch eineinhalb Jahre nach dem Umsturz andauernden schweren Menschenrechtsverletzungen in Libyen angeprangert wurden. Diesem Befund widerspreche er nicht, ließ der Minister verlautbaren.

Nicht eingelöste Erwartungen, gebrochene Versprechen: Immerhin eines, das der damalige libysche Übergangsratvorsitzende Mustafa Abdel Jalil anlässlich der Befreiung abgab, erfüllte der Oberste Gerichtshof in Tripolis am Mittwoch. Die unter Gaddafi eingeführten Beschränkungen der Polygamie wurden aufgehoben. So sieht die neue Freiheit aus.

In Kairo gab am Donnerstag die Ägyptische Menschenrechtsorganisation die Bilanz der Zeit seit 25. Jänner - dem zweiten Jahrestag des Revolutionsbeginns - heraus: 53 Tote, 2000 Verletzte. Wie vor zwei Jahren ist der Grund für die Proteste der Menschen die Arroganz der Macht. Sie begannen, als die Islamisten - Muslimbrüder und Salafisten, da waren sie sich einmal einig - eine Verfassung durchdrückten, ohne einen Konsens mit den anderen Sektoren der Gesellschaft zu suchen.

Zwiespältiges Verhältnis

In Tunesien, dem ersten Land des damals sogenannten Arabischen Frühlings, läuft nun ein Teil der Gesellschaft Sturm gegen die islamische Ennahda: Die lange Jahre ins Exil gezwungene Partei, die ihr Bekenntnis zur Demokratie vor sich herzutragen pflegt, hat ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu den radikalen Salafisten - und zu deren Vorstellung, wie man mit Opposition umgeht. Die Ermordung des Linkspolitikers Chokri Belaid wird deshalb direkt Ennahda angelastet.

Vielleicht half das dabei, ein paar Leute im islamistischen Establishment Ägyptens aufzuwecken: Dort hatte vorige Woche der rabiate Fernsehprediger Mahmud Shaaban gesagt - was von vielen als Fatwa (Rechtsgutachten) gewertet wurde -, dass die Spitzen der oppositionellen "Rettungsfront", die die Proteste gegen die Regierung anführt, den Tod verdienten. Dem schloss sich ein anderer Kleriker, Wagdy Ghoneim, an. Erst nachdem einer der Betroffenen, Mohamed ElBaradei, per Twitter das Schweigen der ägyptischen Regierung anprangerte und die Medien international darüber berichteten, verurteilten das Büro des Premiers und etliche islamistische Politiker die Mordaufrufe.

Die Nachrichten aus Tunesien sind auch deshalb so deprimierend, weil es immer als jenes Land galt, das die besten Chancen auf einen halbwegs glatten Übergang hatte: klein und mit einer relativ starken Mittelschicht. Aber auch Libyen, das durch seine Öleinnahmen seine Transition gut finanzieren kann, wurden positive Prognosen gestellt. Heute rutscht die Sicherheitslage immer mehr ab. Jemen, ein weiteres Land mit einem Präsidentenwechsel, tritt gerade in eine sensible Phase ein: In einem "nationalen Dialog" sollen die vielen Konflikte, die das Land zu zerreißen drohen, bearbeitet werden.

Für Syrien hat in dieser Beziehung kaum mehr jemand Hoffnung. Dort gibt es nicht nur einen Aufstand gegen ein brutales Regime, sondern auch einen Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Russland auf der einen Seite und den Golfarabern, der Türkei und dem Westen auf der anderen. Und im genau vor zehn Jahren von Saddam Hussein befreiten Irak gehen sunnitische Demonstranten heute gegen die immer autoritärer werdende schiitische Regierung auf die Straßen: viele davon mit Saddams Bildern. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 8.2.2013)