Der Schweizer Pianist Andreas Haefliger, der in Wien lebt, zu seiner Definition von Karriere und Erfolg: "Ich habe es geschafft, dass man mir zuhört."

Foto: Borggreve

Wien – Man darf sich Andreas  Haefliger als zufriedenen Menschen vorstellen. Seine auf CDs festgehaltenen Interpretationen der vergangenen Jahre – Perspectives ist der Titel der Serie – würden eine stolze Box von fünf Einspielungen ergeben. Bei dem Schweizer Pianisten, der in Wien lebt, handelt es sich also um einen jener raren Künstler, die ihre Arbeit gut dokumentieren können. Zudem sind Avie Records offenbar sehr verständnisvolle Partner. "Ich habe da gewissermaßen eine Carte blanche. Jedenfalls hat das Label nie ‚Nein' gesagt, wenn ich ein Projekt vorschlug. Bei Perspectives will ich quasi einen  Lebensraum schaffen, in dem ich Beethoven mit anderen Komponisten konfrontiere. Zuletzt war das Franz Liszt."

Man muss sich Andreas Haef liger aber auch als hart arbeitenden Zeitgenossen vorstellen. "Ich muss Musik so lange spielen, bis sie Sinn für mich ergibt. Ich arbeite langsam, aber ich mag das Konzept der harten Arbeit." All die Mühe ist allerdings Vorspiel für jene Mühelosigkeit, die sich im Konzert einstellen sollte: "Beim Konzert geht es darum – es ist wie bei einem guten Tennisspieler –, eine Lockerheit, die gleichzeitig gefestigt ist, herzustellen. Nach der konkreten Vorbereitung ist man dann hoffentlich nur noch in einem Zustand des Gebens, das Wissen, das man angehäuft hat, geht über in eine Art Nichtwissen. Insofern ist ein Konzert ein her ausforderndes Geschenk. In kleinen Hauskonzerten, wo es nicht so um die Wurst geht, spiele ich nie so erhebend."

Ein großer Baum

Das sind abstrakte Gedanken eines erfahrenen Künstlers. Als Haefliger (Sohn des bekannten Tenors Ernst Haefliger) mit 15 nach Amerika ging, um Klavier an der Juilliard School New York zu studieren, werden seine Spielansichten anders geklungen haben. "Mit diesem Weggang konnte ich mich von meinem Vater lösen. Das war sehr wichtig. Er war ein großer Baum, und große Bäume brauchen viel Platz. Ich musste mich gleichsam in eine andere Ecke des Waldes verziehen."

Der Vater sei aber "ein herr licher Mensch" gewesen, der "verstanden hat, wie schwer ein Künstlerleben sein kann. Er hat mir alle großen Steine aufgezeigt, die den Weg kreuzen können. Er hat nie einen in den Weg gelegt, aber auch keinen aus dem Weg geräumt." In New York hat Haefliger dann "zunächst jedenfalls probiert, noch schneller, noch perfekter zu spielen als alle anderen. Irgendwann merke ich: Es geht eher darum, die eigene Menschlichkeit ins Spiel einfließen zu lassen. Ich bin auch nie enttäuscht von einer Aufnahme. Ich versuche im Konzert so perfekt zu spielen wie bei einer Aufnahme. Bei einer Aufnahme will ich aber so menschlich klingen wie im Konzert. Man muss bei einer CD irgendwann akzeptieren, wie es klingt, und sich nicht verrückt machen."

Erfolg? "Ich habe es geschafft, dass man mir zuhört. Am Ende ist es so wie bei einem guten Fotografen. Die Kunst besteht nicht darin, wie gut ein Foto ist, sondern dar in, was man mit ihm aussagen will." Auch stellt sich Haefliger – dessen Bruder Michael übrigens sehr erfolgreich das renommierte Luzerner Musikfestival leitet – sehr bewusst auf Konzerte ein.

"Ich kapsle mich total von der Familie ab, bin nicht zu erreichen, man kann mit mir auch kein Interview ausmachen, und es gibt auch kein Internet. Ich denke einfach darüber nach, wie ich spielen möchte, wie eine einzelne Stelle klingen sollte."

Einschneidendes Erlebnis

Es gibt da einen Tag, an dem dies sicher nicht funktioniert hat. Haefliger lebte in New York, hatte an diesem Tag, dem 11. September, Geburtstag, doch dann schlugen die Flugzeuge in das World Trade Center ein: "Wir konnten den zweiten Einschlag direkt sehen, beim ersten waren die Jalousien noch unten. Was ich tat? Ich hängte meiner Tochter einen Brief um den Hals, falls sie verlorengeht. Darauf stand, wo sie herkam und wo sie hingehörte. Man wusste ja nicht, was da passiert. Ich ging auch zur Bank und hob alles ab, was ich hatte, 15.000 Dollar. Siebentausend habe ich meiner Frau in die Schuhe gesteckt. Wir vereinbarten, dass wir uns in Kanada treffen, falls wir verloren gehen."

Diese Erlebnisse waren allerdings nicht der Grund, nach Wien zu gehen. "Ich lebe sowieso im  Hotel. Ich hatte aber einen Drang zu Europa, der Bezug zu Wien ist einer zu Europa. Ich werde jetzt auch meine Greencard zurückgeben. Das hat nichts mit Politik zu tun, vielmehr mit der Erkenntnis, dass ich Europäer bin."  (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 8.2.2013)