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Der Krieg um Malis Städte ist vorerst gewonnen. Um den Frieden zu sichern, muss Frankreichs Präsident François Hollande (im Bild bei seinem Kurzbesuch in Timbuktu am Wochenende) nun an einer politischen Einigung arbeiten.

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Islam-Experte Olivier Roy.

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STANDARD: In Mali ist die erste militärische Phase zu Ende, Frankreich kündigt einen teilweisen Truppenabzug an. Wie geht es nun weiter?

Roy: Eine militärische Besetzung des riesigen Wüstengebietes in Nordmali ist unmöglich, sogar absurd: Denn dann würden sich die Terrorgruppen einfach woanders neu formieren. Nötig ist vielmehr ein politisches Abkommen mit den gemäßigten Tuareg. Nur so kann man die Jihadisten der lokalen Unterstützung berauben. Damit sich die Mehrheit der Tuareg gegen sie stellt, sind nun politische - und natürlich geheime - Verhandlungen zwischen den Franzosen, der Regierung in Mali und den Tuareg-Führern nötig. Sonst kann die militärische Verfolgung der Jihadisten bis in das Wüsten- und Berggebiet an der algerischen Grenze auf keinen Fall erfolgreich sein.

STANDARD: Doch ist die malische Regierung bereit zu Zugeständnissen für die Tuareg?

Roy: Die Tuareg hätten normalerweise wenig Hoffnung darauf. Doch die Regierung in der Hauptstadt Bamako ist sehr schwach und instabil, nicht nur wegen eines Putschversuchs im letzten Jahr, sondern auch wegen des Militäreinsatzes. Dieser hat hingegen die französische Position gestärkt. Paris geht zwar auch nur auf die Anliegen der Tuareg ein, wenn es gerade ins Konzept passt. Doch das ist jetzt der Fall. Frankreich will mit den Tuareg eine Einigung erzielen. Deshalb ist die Lage für sie günstig.

STANDARD: Ein Autonomie-Abkommen braucht aber Zeit.

Roy: Die Forderungen der Tuareg sind dreißig Jahre alt, und ich glaube nicht an ein umfassendes Abkommen. Realistisch ist bloß eine provisorische Übereinkunft. Das kann aber fürs Erste genügen, So wie in Bosnien oder dem Irak, wo lokale Kämpfer die Jihadisten schließlich selbst verjagt haben.

STANDARD: Welche Rolle spielt Algerien?

Roy: Eine sehr wichtige - auch wenn jetzt niemand darüber spricht. Algerien wacht über den Norden Malis wie Pakistan über Afghanistan, und das ist einer politischen Lösung nicht gerade förderlich. Zudem wollen die Algerier verhindern, dass die Jihadisten - vorwiegend Algerier - in ihr eigenes Land zurückkehren. Man kann nur hoffen, dass Algier nach dem Anschlag auf das Gasfeld In Amenas etwas kooperativer zur Sache gehen will.

STANDARD: Frankreichs Präsident François Hollande nennt die Gegner "Terroristen". Ist das der richtige Ansatz?

Roy: Terroristen sind nur die zwei kleinen Grüppchen Aqmi (Al-Kaida im Islamischen Maghreb) und Mujao. Bei der größten Gruppe, Ansar Dine, die Timbuktu eingenommen hatte, handelt es sich aber um islamistische Fanatiker, nicht um "Terroristen". Dieser Ausdruck ist unpassend und ungeschickt. Hollande benützt ihn vielleicht absichtlich, um unter den Franzosen einen Konsens zu erzielen. Wenn er ihn ehrlich meint, zeugt das von einer Unkenntnis der Lage.

STANDARD: Wie beim "Krieg gegen den Terrorismus" von George W. Bush?

Roy: Genau. Es ist schon ein wenig komisch zu sehen, dass ein sozialistischer Präsident Frankreichs den Diskurs der amerikanischen Neokonservativen übernimmt. Und das ist auch gefährlich, denn es verhindert eine klare Abgrenzung zu legitimen Lokalvertretern wie den Tuareg, mit denen man verhandeln kann.

STANDARD: Verzichtet Hollande auch aus Rücksicht auf die Moslems in Frankreich darauf, von "Islamisten" zu sprechen?

Roy: Das Problem ist: Wenn die Neokonservativen von "Terrorismus" im islamischen Raum sprechen, denken sie nicht nur an Al-Kaida, sondern zum Beispiel auch an die palästinensische Hamas. Die öffentliche moslemische Meinung empfindet seither bereits den Begriff "Terrorismus" als aggressiv, da er alles in den gleichen Topf wirft.

STANDARD: Aqmi bezeichnet sich selbst als regionalen Ableger von Al-Kaida. Zu Recht?

Roy: Das würde voraussetzen, dass es eine Al-Kaida-Zentrale an einer Hierarchie-Spitze gibt. Ich sehe Aqmi eher als eine Art Franchise-Nehmer der "Terrormarke".

STANDARD: Sind Aqmi und Mujao in Westafrika so wenig verwurzelt wie Al-Kaida im Mittleren Osten?

Roy: Mit einer Einschränkung: Aqmi ist in der Sahara stark mit Drogenhändlern, Räubern und Schmugglerbanden verbandelt. Das ist anders als in Afghanistan. Und dieser Faktor darf nicht übersehen werden.

STANDARD: Ist diese Verbindung der Grund für die militärischen Erfolge, die Attacken auf Gasfelder, auch die Millioneneinnahmen aus Geiselnahmen und Drogenhandel?

Roy: Ja, denn die Schmugglerbanden kennen die Wüste wie kaum jemand, und sie beherrschen das leere Gebiet faktisch. Dazu erleichtert das Terrain natürlich das Aufkommen von kleinen, mobilen Einheiten. Sie haben viel von den Tuareg abgeschaut und treiben mit diesen Stämmen auch Handel.

STANDARD: Bei der lokalen Bevölkerung kamen die Islamisten aber nicht gut an.

Roy: Die Salafisten bringen Dogmen wie die Scharia oder die Burka mit, akzeptieren aber keine lokalen Bräuche. Deshalb verbrannten sie in Timbuktu uralte Handschriften und verwüsteten Heiligtümer. Die vor den Kopf gestoßene Lokalbevölkerung sah in ihnen nur noch Barbaren.

STANDARD: Hat der Salafismus langfristig eine Chance bei den Maliern, die heute einen sehr toleranten, fast ökumenischen Islam pflegen?

Roy: Er hat in Mali durchaus eine gewisse Anziehungskraft. Das ist auch eine Folge der Globalisierung, die in Westafrika zu einer Entwurzelung ganzer Stämme und der Zerstörung lokaler Traditionen führt. Das steigert das Interesse an einem universalistischen Fundamentalismus, wie ihn der Salafismus verkörpert. Viele Jugendliche aus diesen armen Ländern reisen heute und studieren in Saudiarabien oder dem Irak. Das macht sie viel empfänglicher für einen solchen Integrismus als für den traditionellen Islam ihrer Eltern.

Auf dem Land kann der universelle Ansatz der Salafisten zudem helfen, Stammesunterschiede zu übertünchen. Das sieht man in regionalen Bewegungen von Jemen bis Afghanistan - etwa bei den Paschtunen - die plötzlich zu "islamischen Emiraten" mutieren. Und solche Entwicklungen sind auch in Westafrika möglich. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 7.2.2013)