Am Wochenende hat das französische Parlament die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare angenommen. Im Nachbarland Belgien dagegen dürfen Schwule und Lesben schon seit zehn Jahren heiraten. Gleichzeitig ist dort eine lebhafte Debatte über die gesellschaftliche Situation Homosexueller im Gang. So will Antwerpens Bürgermeister seinen Beamten zur Wahrung der staatlichen Neutralität das Tragen von Regenbogen-Shirts im Dienst verbieten.
In puncto Gleichstellung von Homosexuellen spielt Belgien seit einem Jahrzehnt in der ersten Liga. Am 30. Jänner 2003 öffnete das belgische Parlament die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Nach den Niederlanden war Belgien somit das zweite Land, das homosexuelle Ehen legalisierte. Seitdem heiraten jährlich etwa 2.000 Schwule und Lesben. Auch Nichtbelgier, deren Herkunftsland die Homo-Ehe nicht eingeführt hat, dürfen in Belgien eine gleichgeschlechtige Ehe schließen.
Seit 2006 dürfen Paare zudem legal Kinder adoptieren. Kürzlich wurde bekannt, dass im Jahr 2012 die Hälfte der belgischen Adoptivkinder bei homosexuellen Adoptiveltern unterkam. Die Adoption ausländischer Kinder durch Homosexuelle gestaltet sich aber nach wie vor schwierig, da sich die meisten Herkunftsländer der Kinder einer solchen Adoption widersetzen.
Pro Flandria, pro Homo
Die konservative Partei N-VA (Neu-Flämische Allianz) verfolgt den Plan, Belgien in einen flämischen und einen frankophonen Teil aufzuteilen. Medien kommentieren ausführlich jede Aussage ihres Vorsitzenden Bart De Wever, der laut Umfragen in Flandern größte Beliebtheit genießt. Bei der Kommunalwahl im Oktober 2012 wurde De Wever zum Bürgermeister der wohlhabenden Hafenstadt Antwerpen gewählt. So regiert nun zum ersten Mal seit 80 Jahren ein Nichtsozialdemokrat die größte Stadt Flanderns und zweitgrößte Stadt Belgiens.
Ursprünglich war der gelernte Historiker De Wever kein Befürworter der Homo-Ehe. Diese Meinung revidierte er und befand 2010 in einem Interview: "Wenn Homosexuelle den Begriff 'Ehe' wichtig finden, muss sie auch möglich sein." Einige Wochen nach seinem Sieg bei der Kommunalwahl punktete De Wever publikumswirksam mit einem DJ-Auftritt in Antwerpens bekanntester Schwulendiskothek. Dieses Jahr im Sommer ist Antwerpen zudem Gastgeber der World Out Games, eines großen Sportfestivals für Homosexuelle.
Homosexuelle Obedienz
Antwerpen steht in Belgien auch für das dort geltende "Kopftuchverbot". Seit 2007 müssen sich Kommunalbeamte im Kontakt mit Bürgern neutral kleiden. Vor allem dürfen sie keine "äußerlichen Symbole ihrer religiösen oder politischen Überzeugung" tragen. In einem Aufsehen erregenden Interview mit der Zeitung "De Standaard" erweiterte De Wever dieses Verbot überraschenderweise auf Symbole sexueller Orientierung. "Darf eine Frau ein Kopftuch tragen? Selbstverständlich", so der Bürgermeister, "aber nicht am Schalter oder im Bürgerbüro. Wer das Gesicht der Stadt ist, muss sich neutral verhalten. Ich will nicht, dass jemand in einem Regenbogen-Shirt am Schalter arbeitet. Mit solch einer Symbolik macht ein Homosexueller klar, dass er oder sie einer bestimmten Obedienz zugehört. Die Leute erkennen das." Ein Kunde städtischer Dienstleistungen brauche nicht zu wissen, ob der Beamte ein homosexueller Moslem ist, eine extrem rechte Partei wählt oder eine bestimmte Fußballmannschaft unterstützt.
Homosexuellen-Verbände und Politiker reagierten empört auf De Wevers Aussagen. "Sind gelbe, blaue, rote T-Shirts auch verboten? Diese verweisen ja auch auf politische Parteien. Einzige Lösung: nackt am Schalter", twitterte der grüne Staatssekretär für Chancengleichheit, Bruno De Lille. Der Verein Wel Jong Niet Hetero (Jung, aber nicht hetero) forderte Politiker dazu auf, in der kommenden Woche keinen Anzug anzuziehen und stattdessen "so wie sie sind" ins Parlament zu gehen. "Was darf man, was darf man nicht?", fragt sich Fran Bambust, Sprecherin von Cavaria, dem flämischen Dachverband für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle. "Darf ein lesbisches Mädchen kurze Haare haben? Ist ein rosa T-Shirt akzeptabel, ein Regenbogen-Shirt aber nicht? Darf ein Transsexueller überhaupt am Schalter arbeiten? Nur eine Uniform gewährt die vollständige Neutralität."
Gay Bashing
In mehreren belgischen Städten kam es in den letzten Monaten zu homophoben Vorfällen. Trauriger Höhepunkt war der Mord an dem Schwulen Ihsane Jarfi in Lüttich. Als Konsequenz daraus stellten Regierungsvertreter gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Premierminister Elio Di Rupo, der selbst offen homosexuell lebt, in der vergangenen Woche einen "Interföderalen Aktionsplan gegen homophobe und transphobe Gewalt" vor. Der Aktionsplan dient der Prävention und der Sensibilisierung für das Thema Homophobie in Schulen und am Arbeitsplatz.
Die Einführung der Homo-Ehe war ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung Homosexueller in Belgien. Auch hier ist es jedoch bis zur vollständigen Akzeptanz noch ein langer Weg. (Lukas Vanacker, derStandard.at, 5.2.2013)