Der vor einigen Jahren verstorbene große französische Publizist und Philosoph Jean-François Revel hat in seinem Buch Herrschaft der Lüge - Wie Politiker und Medien die Öffentlichkeit manipulieren Journalisten und Beobachter vor "leichtgläubiger Naivität" gewarnt: "Im Bereich der Politik ist die einfache, freiwillige, als Handlungsmotivation eingesetzte Lüge völlig selbstverständlich." Diese Worte sind heute aktueller denn je.

Wir erleben die Entstehung einer neuen Internationale der grenzüberschreitenden politischen Korruption, deren Symbole bestochene, in Misskredit geratene Staatspräsidenten, Regierungschefs und Minister sind. Es vergeht kaum ein Tag ohne Enthüllungen über skandalöse und spektakuläre Affären in der europäischen Politik.

Die allerletzten Enthüllungen diskreditieren den serbischen Ministerpräsidenten und Innenminister Ivica Dacic. Nach anfänglichen Dementis gab er zu, dass er sich vor vier Jahren als Innenminister mehrmals mit einer Schlüsselfigur der Drogenmafia getroffen hatte. Er habe nicht gewusst, dass es sich um einen Mafiaboss handelt. Hinter den Enthüllungen soll sein Stellvertreter in der wackligen Koalitionsregierung, ein ehrgeiziger junger Korruptionsjäger, stehen. Baldige Neuwahlen sind möglich.

Auch in einer anderen Nachfolgerepublik des zerfallenen Jugoslawien, in dem so lange als europäischer Musterschüler gegolten habenden kleinen Euroland Slowenien, steht der von der Antikorruptionsbehörde schwer belastete Ministerpräsident Janes Janša nach dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit vor dem Sturz. Allerdings kann, wie Janša, auch der Oppositionschef und Laibacher Bürgermeister Zoran Jankovic die rechtmäßige Quelle seines großen Privatvermögens nicht belegen. Im benachbarten Kroatien zieht wiederum der Fall des Ende November wegen Bestechung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilten, langjährigen Premiers Ivo Sanader sowohl im eigenen Land als auch in Österreich weitere Kreise.

Es wäre allerdings völlig irreführend und ungerecht auch angesichts ähnlicher Skandale um die früheren rumänischen und tschechischen Regierungschefs nur in den postkommunistischen Reformstaaten von der Diskreditierung der Politik zu sprechen. Gerade in diesen Tagen kämpft Spaniens Premier Mariano Rajoy samt seiner konservativen Regierung inmitten der akuten Wirtschaftskrise um das politische Überleben. Nach Pressemeldungen sollen sie alle über Jahre hinweg regelmäßige Schwarzgeldzahlungen unter anderen von großen Baufirmen über den ehemaligen Schatzmeister ihrer Partei kassiert haben. Sein kurzes Dementi am Samstag nach wochenlangem Schweigen ohne Zulassung von Journalistenfragen wird von den Medien und der Opposition als nicht überzeugend kritisiert.

Auch im anderen Krisenland der Eurozone, in Griechenland, wird der politischen Klasse, einschließlich früherer Ministerpräsidenten und Finanzminister, von der empörten Öffentlichkeit zu Recht Korruption und Inkompetenz vorgeworfen. Als Haupt der Internationale der korrupten Politiker könnte freilich das von seinem Nachfolger Mario Monti als "Rattenfänger" bezeichnete Stehaufmännchen und der Alleinunterhalter der italienischen Politik, Silvio Berlusconi, gelten. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 5.2.2013)