2005 entführt: Barbara Meisterhofer und Peter Schurz.

Foto: Standard/Müller

Im Gespräch mit Tobias Müller erinnern sie sich an Todesangst, Mitleid und an völlig verdrehte Darstellungen in die Medien.

STANDARD: Ein 26-jähriger Österreicher und zwei Finnen wurden am 21. Dezember in der jemeni tischen Hauptstadt Sanaa verschleppt. Verfolgen Sie den Fall?

Schurz: Kaum. Alles, was man wissen kann, ist sowieso nur, dass ein Österreicher im Jemen entführt wurde, alles andere sind Spekulationen. Bei uns hieß es ja auch einmal: "Vermutlich haben sie die Gruppe verlassen", dann: "Vermutlich haben sie sich auf eigene Faust ein Auto gemietet." Wir hießen einmal Monika und Toni, einmal waren wir ein Paar, dann der Professor und die Studentin, dann waren wir "Stararchitekten" - jede Zeitung hatte ihre eigene Geschichte. Das einzige, was stimmte, war, dass wir entführt wurden.

STANDARD: Zu der Entführung posten Leser im Internet immer wieder sinngemäß: Wer dort hinfährt, ist selber schuld.

Schurz: Genau das hat man auch uns in die Schuhe geschoben. Aber kaum waren wir zurück im Hotel, in einem Gebiet, das als etwas unsicher galt, kam ein ganzer Bus mit einer großen Gruppe Österreichern vorgefahren. Ich habe dann im Frühling 2006 Prospekte von Reisebüros gesammelt, die exklusive Reisen in den Jemen angeboten haben. Es gab ganz wenige Büros, die nach dem Vorfall ihre Reisen in den Jemen gestrichen haben. Und uns hat man als verantwortungslos hingestellt.

Meisterhofer: Unsere Intention war ja nicht, dort ein Abenteuer zu erleben, sondern uns die Architektur in dem Land anzuschauen, die faszinierend ist. Wir haben uns vorher informiert und haben uns nicht fahrlässig verhalten. Nach der Befreiung haben wir einmal auf die Homepage einer österreichischen Zeitung geschaut und da sehe ich plötzlich ein riesiges Foto von mir. Dann haben wir erst die mediale Dimension erkannt.

STANDARD: Nach Ihrer Freilassung haben Sie gemeint, die Entführer täten ihnen leid und haben von dem "schönen Sternenhimmel" bei nächtlichen Wanderungen erzählt. War das eine so tolle Erfahrung?

Schurz: Kurz nach der Entführung ist man ja in einem absoluten Ausnahmezustand. Das besagte Gespräch hat vielleicht zwei, drei Stunden nach der Freilassung stattgefunden. Ich habe versucht, meine Mutter zu erreichen, was mir nicht gelungen ist, weil das Telefon ständig von Journalisten blockiert war. Ich musste meine Nachbarin anrufen und sie bitten, meiner Mutter auszurichten, dass es uns gut geht und wir befreit sind. Dann hat plötzlich das Telefon geläutet und in der Annahme, es könnte meine Mutter sein, habe ich abgehoben. Es war dann aber eine Journalistin vom ORF. Unter anderem wollte sie wissen, ob es trotz Geiselnahme etwas gab, was mich beeindruckt hat. So ist es zu dem Zitat mit dem Sternenhimmel gekommen.

STANDARD: Und das Mitleid?

Schurz: Wir wurden zeitweise von Frauen betreut, deren Männer in Sanaa im Gefängnis einsaßen. Die Frauen waren wirklich sehr rührend und fürsorglich. Ich hatte das Gefühl, diese Frauen sind der Meinung, wir opfern unsere Zeit und als Austausch bekommen sie ihre Männer zurück und sie waren uns dafür sehr dankbar. Deshalb taten mir diese Menschen leid. Ich habe dabei an die Frauen gedacht, nicht an die Entführer.

STANDARD: Wie würden Sie die Ereignisse acht Jahre später schildern?

Meisterhofer: Wir waren erst kurz im Jemen und unterwegs zur Stadt Ma'rib. Dann kam eine Straßenbiegung und dahinter stand eine Kontrolle. Ich bin hinten im Auto gesessen mit unserem militärischen Begleitschutz, der plötzlich aus dem Auto gesprungen und abgehauen ist.

Schurz: Zuerst dachten wir, das ist wieder eine Straßenkontrolle, aber die hatten keine Uniformen an, sondern standen da im Turban, verhüllt, nur die Augen waren frei. Sie waren wahnsinnig hektisch und haben mit den Kalaschnikows herumgestikuliert.

Meisterhofer: Es waren unserer Meinung nach keine Profis. Ich habe mich geweigert, aus dem Auto auszusteigen - sie haben uns dann nicht rausgezogen, sondern haben ihre Pläne geändert und sind mit unserem Auto weitergefahren. Wir hatten mehrere Pannen, sind mit dem Auto in einer Düne hängengeblieben und sind dann zu Fuß weiter. Wir wurden dann vier Tage an zwei verschiedenen Orten festgehalten, bevor es zur Übergabe kam.

STANDARD: Waren bei der Übergabe schon Vertreter des Außenministeriums dabei?

Schurz: Nein, das Ganze wurde rein innerjeminitisch geregelt. Die Österreicher haben wir erst am Tag danach im Hotel gesehen.

STANDARD: Haben Sie etwas von Verhandlungen mitbekommen?

Schurz: Wir haben das nur aus dem Auto gesehen. Die Beduinenstämme haben sich in den Morgenstunden getroffen, da sind von allen Seiten Landrovers und Pickups gekommen, die Männer sind ausgestiegen und haben sich in einem großen Kreis aufgestellt. Sie haben etwa eine halbe Stunden verhandelt, dann hat einer gesagt, wir müssten uns keine Sorgen mehr machen.

STANDARD: Hatten Sie Todesangst?

Meisterhofer: Für mich war das situationsabhängig. Im ersten Haus war die Stimmung durch die Frauen eine ganz ander als im zweiten, Da habe ich mir gedacht, entweder es geht uns an den Kragen oder wir werden befreit. Da denkt man sich dann schon, also sterben will ich jetzt nicht.

Schurz: Wovor wir große Angst hatten, war vor allem eine militärischen Intervention. Die Entführungen nach uns, alle Versuche der Befreiung der Geiseln, gingen tödlich aus.

Meisterhofer: Jeder von den Entführern hatte mindestens zwei Kalaschnikows umgehängt, und man denkt sich nur, wenn einer von denen ausrastet, dann ist es vorbei.

STANDARD: Glauben Sie, die Entführer wussten, dass Sie kommen oder haben Sie einfach Pech gehabt?

Meisterhofer: Wie weit das geplant war, darüber kann man nur spekulieren. Um im Jemen reisen zu können, braucht man einen Fahrer und verschiedene Permits, unsere ganze Reiseroute war schon vorher bekannt. Ob die Entführung nun schon beim Besorgen des Permits geplant wurde, oder ob der Fahrer da mitgemacht hat oder das Hotel, wo wir abgestiegen sind - man kann es nicht wissen.

STANDARD: Sie haben nach der Befreiung Ihre Reise fortgesetzt - warum?

Meisterhofer: Das war eine Art der Therapie. So wie man wieder aufsteigt, wenn man vom Pferd gefallen ist.

STANDARD: Würden Sie nochmals hinfahren?

Meisterhofer: In der jetzigen Situation sicher nicht. Sollte sich die Lage aber beruhigen, würde ich es mir überlegen. (DER STANDARD, 4.2.2013)