DI (FH) Christoph Pöstinger, MBA, ein Lehrender.

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Wiener Neustadt - Einen Sprinter, der Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre seine größten Erfolge feierte, stellt man sich anders vor, muskulöser vor allem. Christoph Pöstinger wirkt dagegen trotz seiner 1,83 Meter fast zierlich. "Ich wiege 71 Kilogramm, mein Wettkampfgewicht waren 75, 76 Kilo. Ich war eher der Bolt-Typ, nicht der damals typische Sprinter."

Der elegante 40-Jährige wirkt aufgeräumt in seinem aufgeräumten bis kahlen Büro der Fachhochschule Wiener Neustadt. DI (FH) Christoph Pöstinger, MBA, Fachbereichsleitung Industrial Management, ist ein Rekordler. Seit bald 17 Jahren hält er die österreichische Bestmarke über 200 Meter - binnen 20,45 Sekunden hat er diese Distanz am 8. Juni 1996 in Ebensee bewältigt. Ein Athlet, der ihm diesen Rekord nehmen könnte, ist nicht in Sicht. "Hoffentlich dauert es nicht mehr allzu lange", sagt Pöstinger, der schon froh ist, dass seine 1997 aufgestellter Bestmarke über 400 Meter 13 Jahre später von Clemens Zeller unterboten wurde.

Gewolltes Vergessen

Ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein macht Pöstinger nichts aus. Er selbst hat sich nach seinem Karriereende mit nur 27 Jahren vom Sport weitgehend zurückgezogen. Einerseits wegen des Lebens danach. Das füllte zunächst der Beruf aus. Nach dem Fachhochschulstudium für Präzisions-, System- und Informationstechnik in Wiener Neustadt wirkte Pöstinger sechs Jahre europaweit in der technischen Assistenz des Projektmanagements von Magna, ehe er nach weiteren Studien aus Zeitgründen als Lehrender an die FH zurückkehrte.

"Ein finanzieller Rückschritt, aber ein großer Gewinn an Lebensqualität", wie er versichert. Lebensqualität, die auch seiner Frau Doris und den Zwillingen Nicolas und Raphael (5) zugutekommt. Auch wegen der Söhne will sich Pöstinger künftig wieder mehr dem Sport widmen - dem Gesundheitssport, nicht dem organisierten, denn der ist schuld am Andererseits des Rückzugs.

Bewegungstalent

Christoph kam am 7. April 1972 als Sohn der Oberösterreicherin Ulrike Pöstinger zur Welt, als sein Vater, der ugandische Student Peter Ogwang, bereits nach Afrika zurückgekehrt war, ohne Kontaktadressen hinterlassen zu haben. Der Bub verlebte in Leonding eine "so normale Kindheit, wie sie ein dunkles Kind im Oberösterreich der 70er-Jahre haben kann. Ich war glücklich. Mit wirklichem Rassismus bin ich erst als Jugendlicher konfrontiert worden, aber nie mit Gewalt."

Im Schulsport keine ausgesprochene Leuchte, zeigt Pöstinger aber bald so viel Bewegungstalent, dass er den Askö Leonding tatsächlich schmückt. 1987 fixiert Pöstinger mit 6,98 Metern einen bis heute unübertroffenen Jugendrekord im Weitsprung. In den beiden folgenden Jahren drückt er seine Zeit über 100 Meter unter elf Sekunden. Bekanntheit über die Grenzen Oberösterreichs und der kleinen Leichtathletikszene hinaus erlangt er durch eine - wenn auch vorsichtig formulierte - Keckheit. Der gerade 17-Jährige sprintet bei den Landesmeisterschaften wieder unter elf Sekunden, verpasst aber das Finale. "Bei allen anderen Landesmeisterschaften dieses Jahres hätte meine Zeit zum Titel gereicht" , erinnert sich Pöstinger. Seinen zumindest platzierungsmäßigen Misserfolg begründet der Jungspund damals öffentlich mit einer "anderen Einstellung zur Medizin".

Glaubensstreit macht Beine

Ohne das Wort Doping in den Mund genommen zu haben , desavouiert Pöstinger das Leichtathletik-Erfolgsmodell der Trainingsgruppe des Vöcklabrucker Religions- und Sportlehreres Heimo Tiefenthaller. Dessen Musterschüler heißt Andreas Berger, seit August 1988 (und bis heute) mit auf der Linzer Gugl gelaufenen 10,15 Sekunden österreichischer Rekordhalter über 100 Meter.

Pöstingers Majestätsbeleidigung zieht einen jahrelangen Glaubensstreit nach sich, der auch zwischen den Zuständigen im "Kurier" und in der "Kronen Zeitung" zur Austragung kommt, wobei der heute noch wirkende Experte des Kleinformats eisern zum jungen Außenseiter hält.

Anfeindungen und Klagsdrohungen machen Pöstinger eher Beine. Er wechselt in die Südstadt und zum ULC Weinland, kommt über Vermittlung von Zehnkampf-Legende Georg Werthner zum deutschen Trainerguru Bert Sumser. Der 2009 im Alter von 95 Jahren gestorbene Thüringer, Trainer von Armin Hary, dem ersten 10,0-Sprinter, wird für Pöstinger mehr als ein Coach. Während in der Tiefenthaller-Gruppe buchstäblich bis zum Erbrechen trainiert wird, erlebt Pöstinger bei Sumser den Spaß am Tun, "er stand noch mit 88, 89 auf der Bahn, hat Übungen gezeigt, in seine Athleten hineingehört".

1992, im Vorfeld der Olympischen Spiele, läuft Pöstinger die 100 Meter in 10,22 Sekunden und ist als zweitschnellster Österreicher und weltweit drittschnellster 20-Jähriger nicht am Staffelstart in Barcelona zu hindern. Pöstinger, Thomas Renner, Berger und Franz Ratzenberger kommen über 4 x 100 Meter ins Finale und auf Rang sieben. Über 200 Meter schmückt Pöstinger das Viertelfinale, während Berger über 100 Meter zwei Fehlstarts produziert.

Ungewollte Bestätigung

Im Jahr darauf liefert Österreichs Sprintstolz eine positive Dopingprobe ab. Bergers Geständnis, das auch für die Kollegen Renner, Ratzenberger und Gernot Kellermayr gilt ("Wir wollen dem Spiel ein Ende setzen, es gibt vier positive Dopingfälle"), ist für Pöstinger Bestätigung, kein Trost.

Hartnäckige Wirbelsäulenprobleme und schließlich eine Operation kosten ihn zwei Saisonen, ermöglichen aber die Erledigung eines wichtigen Anliegens. Pöstinger sucht und findet 1994 seinen Vater in Uganda, lernt sechs Halbgeschwister kennen, zu denen er weiter Kontakt hält. Ulrike Pöstinger, die im November 2012 starb, war nicht mehr zu versöhnen, "sie hatte mit dieser Vergangenheit abgeschlossen".

Pöstinger hat dagegen eine sportliche Zukunft - über 200 und 400 Meter. Nach seinem Rekord und kurz vor Olympia 1996 in Atlanta erleidet er Längsrisse in der Achillessehne, humpelt dennoch zu den Spielen, scheitert. Nach einem Studiensemester an der University of Florida in Gainesville fixiert er seinen Rekord über 400 Meter. 1999 melden sich die Rückenprobleme zurück, und Pöstinger tritt ab - aufrecht, als elfmaliger Staatsmeister, der heute noch zornig wird, wenn erwischte Doper,wie seinerzeit auch Andreas Berger, behaupten, dass Erfolge anders nicht möglich seien. "Ich habe gezeigt, dass es möglich ist, mit Talent und Freude." (Sigi Lützow, DER STANDARD, 04.02.2013)