Viel zu viel Geld gebe der Staat für seine Alten aus, beklagt die 35-jährige Niss. Alles Propaganda, kontert der 71-jährige Khol

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"Die Generation meiner Tochter wird für die Sünden der Vergangenheit büßen müssen, sagt Therese Niss.

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"Es ist ein großer Mythos, dass die Alten auf Kosten der Jungen leben", sagt Andreas Khol.

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STANDARD: Die Gruppe der Alten wächst - und damit ihr Gewicht bei Wahlen. Geraten die Interessen der Jungen unter die Räder?

Niss: Es ist eine Tatsache, dass die Alten von der Politik besser gehört werden. Das zeigt sich schon an den nüchternen Zahlen. Der Staat hat letztes Jahr 38 Prozent seines Budgets für Pensionen und Zinsen, also für die Vergangenheit, ausgegeben. In die Zukunft - für Bildung, Forschung, Infrastruktur - flossen nur 25 Prozent. Das ist eine ordentliche Schieflage.

Khol: Dieses Argument ist unwürdig. Die genannten Zahlen sind längst so zerzaust, dass sie auch die Finanzministerin nicht mehr verwendet. Da werden Ausgaben für die Armutsbekämpfung und Familienförderung hineingepackt, die nichts mit den Pensionen zu haben. Dass die Alten auf Kosten der Jungen leben, ist ein großer Mythos.

Niss: Man kann nicht wegdiskutieren, dass mit den hohen Ausgaben für die Pensionen Geld konsumiert wird, das in der Zukunft fehlt. Die Generation meiner Tochter wird für diese Sünden büßen. Wir haben nun einmal nicht viel mehr als Holz und Hirn. Noch ist Österreich gut aufgestellt, aber die ersten Headquarters ziehen schon ab, weil gut ausgebildete Arbeitskräfte fehlen. Wir müssen Geld locker machen, um diese Probleme zu beheben.

STANDARD: Und dieses soll bei den Pensionen geholt werden?

Niss: Ja. Es sollte oberstes Ziel sein, endlich einmal das Budget zu sanieren. Doch die Pensionisten genießen als einzige Gruppe einen Automatismus, laut dem die Bezüge jedes Jahr erhöht werden. Gibt es so etwas zum Beispiel für die Familienbeihilfe?

Khol: Die Pensionisten verzichten mit dem letzten Sparpaket über fünf Jahre gerechnet auf 2,3 Milliarden Euro, indem sie eine Erhöhung unter der Inflationsrate akzeptierten. Es ist auch Propaganda, dass die Kosten ausufern: In den nächsten fünf Jahren steigen die staatlichen Zuschüsse laut Pensionskommission von 2,74 auf 2,96 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das spielt sich in einem kleinen Radius ab.

STANDARD: In 30 Jahren sollen es aber gut sechs Prozent sein.

Niss: Weil die Leute länger leben, aber nicht länger arbeiten.

Khol: Natürlich wird das Pensionssystem explodieren, wenn das Antrittsalter nicht steigt - aber genau das passiert ja jetzt. Die Reformen, an denen die Seniorenvertreter beteiligt waren, wirken bereits: Der Zulauf in die Invaliditätspension sinkt, die Hacklerfrühpension läuft de facto aus.

Niss: Die großen Reformen sind wieder nicht angegangen worden.

Khol: Das bestreite ich intensiv!

Niss: Es gibt immer noch viel zu viele Schlupflöcher, die Abschläge sind zu niedrig ...

Khol: ... werden jetzt aber erhöht.

Niss: Nicht so stark, wie das die OECD fordert.

STANDARD: Reformen gab es schon viele - gestiegen ist das Pensionsalter trotzdem nicht, weil nachträglich stets verwässert wurde. Hat da die berühmt-berüchtigte Pensionistenlobby zugeschlagen?

Khol: Überhaupt nicht. Die Berufstätigen sind es, die Interesse an einem niedrigen Pensionsalter haben, nicht die Pensionisten. Wir wollen, dass möglichst viele arbeiten, damit die Pensionen sicher sind.

STANDARD: Wer hat dann die Hacklerfrühpension "verbrochen"?

Niss: Alle! Das war ein kollektives Blackout.

Khol: Gegen unseren Widerstand!

STANDARD: Sie waren doch Teil der schwarz-blauen Koalition.

Khol: Anfangs waren auch nur wenige Leute betroffen. Erst in der Casino-Nacht von 2008 hat das Parlament die Tore aufgemacht.

STANDARD: Auch da hat die ÖVP im Nationalrat zugestimmt.

Khol: Erst in dritter Lesung.

Niss: Die Politik hat eben Angst vor den vielen Alten. Man sieht ja, wie oft sie in der Vergangenheit eingeknickt ist. Das ist auch ein prinzipielles Problem: Über die nächste Legislaturperiode wird nicht mehr hinausgedacht.

STANDARD: Haben Junge in den Parteien nichts zu sagen?

Niss: Das zeigt sich ja im Nationalrat, wo nur zwei Mandatare unter 30 sind und das Durchschnittsalter über 50 liegt. Deshalb ist es auch ein Affront, dass der Seniorenbund des Herrn Khol einen weiteren Sitz fordert - wir sind es, die mehr Stimmen bräuchten!

Khol: Unser Einfluss schaut von Außen viel größer aus, als er ist. Wir verhandeln jedes Jahr einmal mit der Regierung über die Inflationsanpassung der Pensionen, das war's. Und dabei dürfen wir dann, so wie heuer, ein Opfer für das Budget bringen.

Niss: Die Jugend wird beim Budget überhaupt nicht gefragt. Niemand vertritt ihre Interessen.

Khol: Doch. Die Obleute der jungen Volkspartei saßen stets im Nationalrat - und Sebastian Kurz ist sogar in der Regierung.

STANDARD: Im Nationalrat verlieren die Jungen schnell jede Aufmüpfigkeit. Ist es nicht so, dass sie in den Klubs erst einmal kuschen müssen?

Khol: Natürlich muss man auch das Gewerbe der Politik erst einmal erlernen. Die ersten vier Jahre sind reine Lehrzeit.

Niss: Es ist doch offensichtlich, dass Parteiensoldaten die viel besseren Chancen haben. Junge, unabhängige Kandidaten werden gar nicht reingelassen.

Khol: Doch. Die Tore stehen weit offen, die Parteien bieten alle Möglichkeiten. Das Problem ist nur, dass nicht einmal die jungen Parteisoldaten wollen. Kein Wunder: Ich kann keinem 24-Jährigen empfehlen, in den Nationalrat zu gehen. Das Image der Politiker ist derart schlecht, dass sie auf Arbeitsmarkt kaum noch Fuß fassen können, wenn sie einmal aus der Politik ausscheiden.

STANDARD: Junge Menschen gehen auch weniger zu Wahlen. Sind sie da nicht selber schuld?

Niss: Wir müssen uns selber bei der Nase nehmen, keine Frage. Wir müssen uns besser organisieren, geschlossen auftreten - die Bundesjugendvertretung kann sich ja nicht einmal darüber einigen, dass der Schuldenberg abgebaut gehört. Leider sind viele junge Leute von der Politik unglaublich frustriert. Sie haben das Gefühl, es ändert sich eh nichts, man wird nicht g'scheit informiert - siehe Volksbefragung zur Wehrpflicht. Verständlicherweise sagen da viele, mir reicht's.

Khol: Dieses allgemeine Jammern der vielen Frustbrummen kann ich nicht mehr hören. Information ist eine Holschuld. Ein junger Mensch braucht sich dafür nur eine Stunde lang im Internet vertiefen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass große Teile der Jugend ganz andere Interessen haben als Politik: Die Berufsausbildung, die Freizeitbeschäftigung.

STANDARD: Wird Österreich in einen Generationenkonflikt schlittern?

Niss: Das darf nicht passieren. Niemand will, dass sich Alte und Junge auf der Straße beflegeln. Es braucht die nötigen Einschnitte, dabei müssen Jung und Alt Hand in Hand gehen. Sonst ziehen wir einen Rattenschwanz an Problemen hinter uns her.

Khol: Ich sehe keinen Generationenkonflikt. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hängen nicht vom Alter ab, sondern von den Inhalten. Sie haben ja erzählt, Frau Niss, dass sich die Jungen nicht einmal über die Schuldenfrage einig sind. Warum? Weil das eine ideologische Frage ist. Alter ist ebenso wenig eine politische Kategorie wie Jugend. (Gerald John, DER STANDARD, 2.2.2012)