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Nirgends in Europa haben so viele Jugendliche Erfahrungen mit Marihuana wie in der Tschechischen Republik.

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Strafverfolgung sei für Jugendliche mitunter schädlicher als ein gelegentlicher Joint, meint der Suchtmediziner Tomáš Zábranský.

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Die Entkriminalisierung definierter Drogenmengen habe keinen negativen Einfluss auf die Polizeiarbeit, sagt der Chef der Anti-Drogen-Behörde, Jakub Frydrych.

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"Tschechien wird zu Europas Drogenparadies", titelte die deutsche Tageszeitung "Die Welt" Anfang 2010. Zahlreiche internationale Medien sprachen damals von einer "Niederlandisierung" der Tschechischen Republik. Hintergrund der aufgeregten Berichte war ein neues Drogengesetz, das im Jänner 2010 zur Anwendung kam. Während die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) aktuell laut darüber nachdenkt, Haaranalysen bei jugendlichen potenziellen Drogenkonsumenten als Zwangsmaßnahme durchführen zu lassen, setzt Tschechien auf eine andere Strategie: Entkriminalisierung. 

Mit dem Gesetz von 2010 wurde die Regelung um die genaue Definition von "geringen Drogenmengen" zum persönlichen Gebrauch erweitert: So gelten nun pauschal unter anderem bis zu 15 Gramm Marihuana, vier Ecstasytabletten, 1,5 Gramm Heroin, ein Gramm Kokain und zwei Gramm Amphetamine oder Methamphetamine als "geringe Mengen".

Der Besitz wird bis zu dieser Höchstgrenze nicht strafrechtlich verfolgt, sondern lediglich als Verwaltungsübertretung mit geringen Geldstrafen geahndet. Dies gilt auch für den privaten Anbau von bis zu fünf weiblichen Marihuanapflanzen. Damit hat Tschechien eines der liberalsten Drogengesetze Europas.

Nur persönlicher Besitz entkriminalisiert

Diese Entwicklung scheint sich auch 2013 fortzusetzen: Ende Jänner stimmte der tschechische Senat für die Freigabe von medizinischem Marihuana an Menschen mit definierten Krankheitsbildern, das Gesetz bedarf nur noch der Unterschrift des Präsidenten. Experten rechnen mit der kontrollierten Abgabe von Cannabis in Apotheken ab April dieses Jahres.

Der mediale Hype um die Entkriminalisierung sorgt bei tschechischen Experten für Unverständnis. Das neue Gesetz sei nur die logische Konsequenz der bisherigen tschechischen Drogenpolitik gewesen, sagt Tomáš Zábranský, Suchtmediziner und Mitbegründer der Tschechischen Nationalen Drogenbeobachtungsstelle "Klinika adiktologie".

"Der Besitz geringer Mengen von Drogen wurde bereits nach der Wende in den 1990ern entkriminalisiert, neu ist nur die genaue Quantifizierung im Gesetzestext", so Zábranský. Herstellung, Handel und Schmuggel von Drogen würden weiterhin strafrechtlich verfolgt, egal, um welche Mengen es sich dabei handle.

Cannabiskonsum bei Jugendlichen hoch

Dass die Tschechische Republik damit auf dem richtigen Weg sei, zeige die Statistik, sagt Zábranský. Im europäischen Vergleich stehe das Land mit einer der niedrigsten Raten von Überdosierungen und HIV-Ansteckungen von Drogenkranken sehr gut da. Beim injizierten Drogenkonsum liege man im unteren EU-Drittel, ein Anstieg des Konsums sei nicht feststellbar.

Problematisch sei aber die hohe Konsumentenanzahl bei Methamphetamin (Crystal Meth). Tschechien liegt hier im europäischen Spitzenfeld. Seit den 1990ern sei zudem ein massiver Anstieg des Cannabiskonsums zu beobachten, der erst in den vergangenen Jahren langsam rückläufig sei. Tatsächlich haben tschechische Jugendliche prozentual die meisten Erfahrungen mit Cannabis in ganz Europa. 

"Best-practice-Modell für Europa"

Aus gesundheitspolitischer Sicht habe die Gesetzesänderung von 2010 keine Auswirkungen gezeigt, resümiert Zábranský die vergangenen zwei Jahre. Die Zahl der 30.000 bis 35.000 "problematischen Drogenkonsumenten" sei stabil geblieben. Der derzeitige rechtliche Rahmen ist für Zábranský ein guter Kompromiss: Entkriminalisierung von Drogenkranken und jugendlicher Experimentierfreudigkeit auf der einen Seite, Strafverfolgung von Dealern und Produzenten auf der anderen. Die tschechische Strategie sei ein Best-practice-Modell im europäischen Raum.

Eine Einschätzung, die auch Jakub Frydrych, Chef der tschechischen Anti-Drogen-Behörde, teilt. Die vereinheitlichte Regelung der Geringfügigkeitsgrenzen erleichtere die Arbeit der Behörden und erhöhe die Rechtssicherheit von Drogenkonsumenten. "Im Umgang mit Dealern, Schmugglern und Drogenproduzenten ist die Gesetzgebung sehr restriktiv. Ziel war es, die übertriebene und ressourcenintensive Strafverfolgung von Konsumenten einzudämmen", so Frydrych. Die bisherigen Erfahrungen der Polizei seien gut, man verfüge über genügend Freiraum, um gegen Drogenkriminalität vorzugehen.

Crystal-Meth ist größtes Problem

Als dringlichstes tschechisches Drogenproblem der vergangenen Jahre bezeichnet Frydrych die Herstellung und den Handel mit Methamphetamin. Die Polizei habe im vergangenen Jahr etwa 400 – meist improvisierte – Drogenlabore im ganzen Land ausgehoben. Die Verfügbarkeit der Droge sei aber unverändert hoch.

Auffallend ist laut Frydrych, dass die Produktion zunehmend von international agierenden Banden koordiniert werde und für den Export ins Ausland bestimmt sei. Die Rohmaterialien, vor allem pseudoephedrinhältige Medikamente, würden meist aus Polen importiert. Die Produktion und Handel würden sich vor allem auf den Südwesten Tschechiens konzentrieren: "Die höchste Aktivität stellen wir in den Grenzgebieten zu Deutschland und Österreich fest", so der Chef der Anti-Drogen-Behörde.

Erbe des Eisernen Vorhangs

Warum der Konsum von Methamphetamin in Tschechien so verbreitet ist, erklärt Suchtexperte Zábranský mit der Drogensituation während der Zeit des Kommunismus. "Das Phänomen der 'self-made-drugs' hat hier eine lange Tradition. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs war es schwierig, Drogen aus dem Westen ins Land zu schmuggeln – die Grenzkontrollen waren akribisch."

Deshalb sei in den 1970er Jahren dann verstärkt Methamphetamin aufgetaucht, das relativ einfach und billig selbst hergestellt werden kann. Diese Entwicklung präge die Situation bis heute, so Zábranský: "Zwei Drittel der tschechischen Drogenkranken sind methamphetaminabhängig."

Hohe gesellschaftliche Akzeptanz für Cannabis

Bei Cannabis wiederum sei von einer sehr hohen gesellschaftlichen Akzeptanz auszugehen, sind sich die Experten einig. "Wir beobachten seit langem die Tendenz, Marihuanakonsum als persönliche Freiheit des Individuums aufzufassen, in den Medien, in der Politik – im gesamten öffentlichen Raum", sagt Jakub Frydrych von der Anti-Drogen-Behörde.

Dies führe zu einer höheren Verfügbarkeit und einer stärkeren Experimentierfreudigkeit, insbesondere unter jungen Menschen. Die Entkriminalisierung sei auch eine Reaktion auf diese Entwicklung, meint Suchtforscher Zábransky: "Auf das Leben von Jugendlichen wirkt sich eine strafrechtliche Ahndung wohl schädlicher aus als gelegentlicher Marihuanakonsum."

Kaum Widerstand gegen Drogenpolitik

Widerstand gegen die Gesetzesreform von 2010 habe es bisher kaum gegeben, weder gesellschaftlich noch politisch. "Die einzigen, die protestierten, waren Kakteenzüchter, weil die Kakteenart 'Lophophora' - die Mutterpflanze des starken Halluzinogens Meskalin - erstmals als Droge gelistet und der straffreie Anbau limitiert wurde", sagt der Suchtmediziner mit einem Schmunzeln.

Nachhaltig erfolgreiche Politik könne man in Tschechien mit Anti-Drogen-Parolen aber keine machen, dazu funktioniere das bestehende System einfach zu gut. Vor einigen Jahren hätten die Christ-Demokraten eine Kampagne für restriktivere Gesetze gestartet, seien damit aber auf breite Ablehnung gestoßen, erzählt Zábranský und fügt hinzu: "Wir sind eben ein ziemlich liberales Land." (David Rennert, derStandard.at, 4.2.2013)