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Es menschelt im kongolesischen Ngaga-Camp, wo man dem Westlichen Flachlandgorilla und also einem engen Verwandten nahe ist.

Foto: Bernd Vogel/Corbis

Im Ngaga-Camp brauchen die Gäste keinen Wecker: Wenn der Dschungel lautstark im Morgengrauen erwacht, ist es höchste Zeit aufzustehen, um den beschwerlichen Weg zu den Gorilla-Jungtieren tief im Regenwald anzutreten.

Foto: Wilderness Safaris
Foto: Wilderness Safaris

Anreise & Unterkunft

Flüge nach Brazzaville mit Air France (1 Stopp) oder Ethopian Air (2 Stopps); Infos über Wilderness Safaris: www.wilderness-safaris.com
Arrangements: www.abendsonneafrika.de
Visum, Gelbfieberimpfung sind Pflicht; beste Reisezeit: Mai bis September

Grafik: DER STANDARD

Es dämmert noch, als Gabin von der Veranda aus in die Hütte raunt: "Good Morning, Mista." Draußen, jenseits der mit Moskitonetz gesicherten Schlafstätte, erwacht der Regenwald mit virtuoser Vielstimmigkeit. Heute soll es also tatsächlich passieren, nach fünf Tagen im Regenwald der Republik Kongo. Eine Verabredung wartet. Die Verabredung mit der Familie eines sehr engen Verwandten. Neptuno heißt der 27-jährige Silberrücken, der Chef eines Gorilla-Clans also, zu dessen mutmaßlichem Aufenthaltsort Fährtensucher Gabin Okele führen soll. Ein Rendezvous mit den seltenen Großaffen, deren genetischer Bauplan nur zu 2,3 Prozent von unserem abweicht.

Die auf Basis eines Petroleumbrenners arbeitende Raketendusche vertreibt den letzten Schlaf aus dem Körper. Einen starken Kaffee gegen die Müdigkeit, die gegen die Euphorie ankämpft, und schon geht sie los, die evolutionäre Zeitreise. Und zwar zu Fuß durch den Regenwald. Weiße Nebelwolken wabern aus der tiefgrünen bis schwarzen Pflanzenwand, in die die kleine, dreiköpfige Gruppe eintaucht. Gabin geht mit einer Machete voran. Gesprochen wird kaum, dem Weg gilt die volle Aufmerksamkeit. Denn es geht über vom Regen aufgeweichte Böden, durch Bäche, über umgestürzte Bäume, steile Hänge hinauf und hinab. Stundenlang.

Der Odzala-Nationalpark, mit 13.600 Quadratkilometern etwas größer als das Bundesland Tirol, ist ein Kleinod im Nordwesten der Republik Kongo. Kongo, war da nicht was? Während die wesentlich größere Demokratische Republik Kongo, das frühere Zaire, für Bürgerkrieg, Kindersoldaten und Unregierbarkeit berüchtigt ist, wird ihre Schwester im Nordwesten, die viel kleinere Republik Kongo, von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Nummer zwei der edlen Hölzer

Doch die ehemalige französische Kolonie im Herzen des Kongobeckens ist politisch stabil. Und zudem zu 60 Prozent von Regenwald bedeckt - dem nach Amazonien zweitgrößten der Erde, der sich über ganz Äquatorialafrika erstreckt. Eine Fläche, mehr als 20-mal so groß wie Österreich, bewachsen mit einem schier undurchdringlichen Wald aus Mangroven, Palmen, Akazien, Gummibäumen, Würgepflanzen und Edelhölzern wie Teak und Mahagoni. Es ist ein gefährdetes "Herz der Finsternis", in dem sich Holzdiebe und Wilderer tummeln. Und eines der letzten Rückzugsgebiete gefährdeter Menschenaffen - Gorillas, Schimpansen und Bonobos.

Die deutsche Investorin Sabine Plattner, Ehefrau des SAP-Gründers Hasso Plattner, hat am Rande des Odzala-Wildparks eine Konzession für die Errichtung einer Lodge erworben. Betrieben wird die Lodge vom südafrikanischen Outback-Profi Wilderness Safaris ebenso wie ein zweites Camp direkt im Park. Um auch tatsächlich Gorillas zu sehen, bedarf es allerdings einiger Anstrengungen: Lange Strecken knietief durch Sumpf watend und durch dichtes Marantaceae-Buschwerk wandernd - ein großblättriges Pfeilwurzelgewächs, das zur Lieblingsspeise der Gorillas gehört -, wird man am Ende fast immer mit einem einzigartigen Rendezvous belohnt.

Anders als in Ruanda und Uganda, wo die weniger umtriebigen Berggorillas leben, sind die Flachlandgorillas kaum an Menschen gewöhnt. Und damit solche Begegnungen zwischen Primaten und Menschen für beide Seiten stressfrei ausgehen, hat Wilderness Safaris sich selbst strenge Limits gesetzt: So dürfen nie mehr als vier Touristen auf Gorilla-Pirsch gehen, man verweilt nie lange in ihrer Nähe, hält einen Sicherheitsabstand von sieben Metern. Dabei wird ein Mundschutz getragen, damit sich die Gorillas nicht mit unseren Krankheiten infizieren. Schon eine Erkältung könnte für sie tödlich enden.

Mit vier Gorillas pro Quadratkilometer gibt es im 30 Quadratkilometer großen Konzessionsgebiet rund um das Ngaga-Camp die höchste Dichte an Menschenaffen in ganz Zentralafrika. Rund 110 Gorillas sind hier beheimatet, 20.000 sollen es in der gesamten Republik Kongo sein.

Klare Zeichen für Fährtenleser

Inzwischen ist Vormittag - noch immer dringt das Tageslicht nur spärlich durchs dichte Blätterdach -, als die Gruppe ihr Ziel erreicht. Umgeknickte Halme, ein Rascheln im Marantaceae-Dickicht, ein Hauch von Gorillaschweiß in der Luft - all das seien die untrüglichen Zeichen ihrer Nähe, flüstert Gabin. Als Fährtensucher kennt der 36-Jährige vom Volk der Mbeti den Clan von Neptuno schon seit langem. Und die Gorillas kennen ihn.

In der Baumkrone gegen das grelle Licht des Himmels ist zunächst nur ein schwarzes Knäuel zu erkennen, das sich alsbald als Gorillakind entpuppt. Es sind die Augen, die diese Tiere so vertraut erscheinen lassen. Und die erahnen lassen, dass hinter diesen Blicken, die sich auf uns heften, eine verwandte Seele schlummern muss: Neugierig, wach, nachdenklich, sich schüchtern hinter einem Blätterbündel versteckend, beobachtet das Gorillababy die Menschengruppe, ehe es von seiner Mutter weggezogen wird. Africus heißt der Einjährige, Ceres seine Mutter. Im Hintergrund knurrt Silberrücken Neptuno, der seine Sippe zur Ordnung mahnt. Ganz so, als wolle er sagen: "Bleibt cool, ignoriert diese komischen Wesen einfach!"

Immer mehr Mitglieder der Familie zeigen sich. Fast lautlos und sehr bedächtig bewegen sie sich in einem Otunga-Baum, essen die feigenartigen Früchte. Von Zeit zu Zeit fallen abgeerntete Äste krachend zu Boden. Die Anwesenheit der Menschen wird von der Gorillagruppe bald übersehen, sie gehen ihren Alltagsgeschäften nach: fressen, klettern, raufen, einander umklammern. Im Umfeld der Gruppe schwirren ganze Wolken kleiner Schweißbienen umher. Mit einer Art Imkermaske schützen sich die Beobachter vor den nervigen Plagegeistern, die es stets in Nähe der Menschenaffe gibt.

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird die Neptuno-Gruppe schon beobachtet und erforscht - weshalb man ihnen auch Namen gab. Für das Projekt verantwortlich ist Magda Bermejo, eine 48-jährige spanische Biologin, die seit 1995 im Kongo forscht. Magda ist das, was die Amerikanerin Dian Fossey für die Berggorillas war - der US-Streifen Gorillas im Nebel beruht auf ihrer Biografie - und was die weniger bekannte Britin Jane Goodall für die Schimpansen ist: Bewahrerin, Forscherin, kämpferische Lobbyistin für gefährdete Primaten in einem für sie zunehmend lebensfeindlichen Umfeld. Doch anders als Dian Fossey, deren Liebe zu den Berggorillas sie zur Menschenverächterin werden ließ, will Magda die Kongolesen im Kampf um den Erhalt der Menschenaffen einbinden.

Chancen für Flachländer

Magda wohnt inzwischen im Camp, mit dem sie zusammenarbeitet. "Der Tourismus ist die vielleicht letzte Chance, um die Flachlandgorillas vor dem Aussterben zu retten", sagt sie. "Denn nur durch wachsenden Tourismus wird der Regierung in Brazzaville bewusst, welchen Wert diese einzigartigen Tiere für die Republik Kongo haben." Bisher kämpften Magda und ihr Mann German Illera weitgehend allein. Erst mit Eröffnung der Lodges wächst bei kongolesischen Politikern das Interesse an dem Projekt, denn mit dem Tourismus fließt auch Geld in die vergessene Region.

Ein Problem im Land ist die Wilderei: Professionelle Wilderer, die über die Grenzen in das dünn besiedelte Gebiet einsickern, haben es vor allem auf Elfenbein der seltenen Waldelefanten abgesehen. Gorillas, einst als "Bushmeat" begehrt - auch ihre Jungtiere wurden zum Teile an die Privatzoos arabischer Millionäre verscherbelt -, werden kaum noch gejagt. Denn hartnäckig hält sich das Gerücht, Gorillafleisch sei oft mit dem Ebola-Virus infiziert, der Zentralafrika von Zeit zu Zeit heimsucht.

Am Abend ist Sekangui Andre Joël, Subpräfekt der hiesigen Provinz Mbomo, vergleichbar mit einem Landeshauptmann, zu Besuch im Camp. Auf die Frage, wann er zum ersten Mal in seinem Leben einen Flachlandgorilla gesehen hätte, antwortet er überraschend: "Heute morgen." Und er fügt hinzu: "Dank Magda." Bisher waren die Gorillas für ihn Tiere wie all die anderen auch, die irgendwo im Regenwald leben - die ihn aber weit weniger interessierten als die Bewohner seiner Provinz. Jetzt schwärmt er beinahe euphorisch: "Es sind großartige Tiere, ich bin total begeistert. Wir müssen dieses Wunder bewahren. Denn viele Wunder hat unser Land nicht zu bieten ..." (Elian Ehrenreich, DER STANDARD, 1.2.2013)