STANDARD: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in der Früh vor dem Kleiderkasten stehen?
Adrien Brody: Was ich anziehe, hängt davon ab, was ich a n dem Tag vorhabe. Manchmal ziehe ich gar nichts an. Ehrlich. Das taugt mir.
STANDARD: Aber meistens ziehen Sie doch was an, oder?
Brody: Ja schon. Es ist aber echt ein wenig komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Etwa, wo ich gerade bin, wie ich mich fühle, was der Plan für den Tag ist. Ob ich sportlich unterwegs bin, draußen unterwegs bin. Das bin ich gerne in der Früh. Wenn ich arbeite, ziehe ich mich sehr bequem an, weil ich am Set ohnehin ins Kostüm schlüpfe. Wenn ich ausgehe, brezle ich mich auf. Wenn ich mir's aussuchen kann, brezle ich mich nicht auf. Eine Zeitlang habe ich das sehr gern gemacht. Aber dadurch ziehe ich auch sehr viel Aufmerksamkeit auf mich.
STANDARD: Und das nervt?
Brody: Ich buhle nicht um Aufmerksamkeit. Ich bekomme sie sowieso. Früher habe ich schon um Aufmerksamkeit gekämpft. Ich will das nicht kleinreden. Es ist ein Privileg, so beachtet zu werden.
STANDARD: Sie waren viel auf Laufstegen unterwegs in diesem Jahr.
Brody: Ein einziges Mal. Und das erste Mal in meinem ganzen Leben. Aber kaum gehe ich bei Prada über den Laufsteg - übrigens gemeinsam mit hochgeschätzten Kollegen wie Willem Dafoe und Gary Oldman -, meinen alle, ich bin dauernd auf Laufstegen. Es war eine super Geschichte. Das Thema war Macht. Ich habe meinen Gang über den Laufsteg wie einen Mode-Dracula-Geschichte gestaltet.
STANDARD: Sind Laufsteg und Modefotos auch Schauspiel?
Brody: Ja, durchaus. Mit dem Unterschied, dass es kein Drehbuch, keine Rolle gibt, sondern nur eine Stimmung.
STANDARD: Kann man durch Mode den Charakter und die Ausstrahlung so ändern wie durch Kostüm und Maske?
Brody: Ja. Und ich bin überzeugt, dass Mode diese Funktion bei vielen Leuten hat. Und der Grund, sich auf eine bestimmte Weise zu kleiden, das Schlüpfen in eine Rolle und das Erfüllen der Erwartungen der anderen. ist. Mode gibt Sicherheit, man signalisiert Zugehörigkeit. Der blaue oder schwarze Anzug des Geschäftsmanns ist natürlich ein Code, hat etwas Formelles und - ich interpretiere jetzt - etwas Vertrauen Erweckendes. Der Code sagt: Der Mann ist gepflegt, ordentlich rasiert, trägt die richtige Krawatte etc...
STANDARD: ... und wird als "schön" wahrgenommen. Schönheit und Männlichkeit, wie verträgt sich das? Im Film Manolete sagt Ihre Leading Lady Penelope Cruz, dass Sie der schönste hässlichste Mann wären, den sie jemals gesehen hätte. Wie kommt ein solcher Satz bei Ihnen an?
Brody: Bin ich ein schöner hässlicher Mann? Ich weiß nicht. Die Aussage berührt mich als Person überhaupt nicht. Obwohl - ich habe schon eine Ahnung, was gemeint sein könnte. Ich bin keine konventionelle Männerschönheit. Ich bin kein Model. Ich habe keine gefälligen Züge. Ich bin interessant. Und ich bin ein Individuum. Manolete war noch interessanter als ich. Er hatte außerdem eine tiefe Narbe im Gesicht.
STANDARD: Sie bewegen sich in einem außerordentlich schönheit- und jugendbesessenen Kontext. Gibt's da nicht doch Druck?
Brody: Für Frauen ja. Nicht für Männer. Frauen kriegen richtig Druck. Ich hingegen habe sehr viele Möglichkeiten. Einmal spiele ich einen frühreifen Teenager, ein anderes Mal einen Vater. Frauen haben es da wirklich schwerer. Sie stehen dauernd unter Beobachtung, werden viel mehr in eine Schublade gesteckt und können sie nur schwer wechseln.
STANDARD: Sie werben mit Ihrem besonderen Gesicht für einen Rasierer-Hersteller. Und werden da "Master of Style" genannt. Von einem Meister erwarten wir, dass er uns sagt, wo's langgeht. Also bitte!
Brody: Ich möchte da was klarstellen. Es ist natürlich nicht ironiefrei. Ich und meine Kogesichter André 3000 (Hip-Hopper bei OutKast, Anm.) und Gael García Bernal (Schauspieler, Anm.) sind ja ganz andere Typen. Wir sind keine glatten, gebügelten Werbegesichter. Ich finde den Zugang von Gillette eigentlich sehr mutig. Jahrzehntelang hat man das extrem glatte Image propagiert. Kein einziges Härchen im Gesicht, keine Individualität, nichts. Und jetzt kommen wir drei Typen mit unseren Bärten. Und jetzt daherzukommen und zu sagen: Mach doch mit deinem Gesichtshaar, was du willst, erfinde deinen Stil - das ist ein großer Kulturwechsel für ein Unternehmen dieses Zuschnitts. Es war lustig mitzumachen. Ich wollte bei dem Werbespot auch Regie führen. Das habe ich in letzter Zeit öfter gemacht. Ich wollte die Aufforderung zur Individualität mit einem humorvollen Konzept unterstreichen.
STANDARD: In Ihrem aktuellen Film "Detachment" geht es ebenfalls um Individualität. Sie spielen einen Lehrer und halten in der Klasse eine flammende Rede an die Schüler, in der Sie zum Kampf gegen das ubiquitäre Dumbing-down, den Trend zur Verdummung und Nivellierung, verursacht durch einen "Marketing-Holocaust", aufrufen. Es klingt wie eine politische Brandrede. Wie ernst ist die Lage?
Brody: Diese Rede bezieht sich auf den Verlust von Individualität durch Verdummung, durch Verzicht auf Bildung. Und der greift in der Welt, in der wir leben, um sich. Wir werden unablässig mit Bildern gefüttert und vergessen oder verlernen zu differenzieren. Es obliegt jedem Einzelnen zu entscheiden, welches dieser Bilder man an sich ranlässt, mit welchen man in Kontakt tritt.
STANDARD: Spielen solche Gedanken eine Rolle, wenn Sie sich für ein Projekt entscheiden?
Brody: Ich versuche da äußerst bewusst vorzugehen und sorgfältig darin zu sein, welche Bilder und Ideen ich in die Welt rausschicke. Ich bin überzeugt, dass Künstler das Grundrecht haben, kreativ zu sein, wie sie es für richtig halten. Ich persönlich will nichts machen, was ich nicht für aufrichtig halte oder eine negative Entwicklung fördert.
STANDARD: Sie entscheiden sich gerne für die schweren Themen.
Brody: Die sind Teil des Lebens. Ich spiele auch Killer oder Wahnsinnige, wenn die Psychologie dahinter interessant ist und wenn meine Arbeit das Verständnis fördert. Es gibt alle Arten von Scheußlichkeiten. Es hat keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen. Ich stehe nicht auf Glorifizierungen. Etwa von der Sorte, die wir in Videospielen finden. Die sind zwar Fiktion, aber die Coolness der Helden kommen bei den Kids als Realität an. Da gibt es Spiele, in denen der Held mit einer Prostituierten schläft und daraus Energie bezieht. Es ist lustig, wenn man in der Lage ist, all das zu differenzieren. Aber man kann nicht ignorieren, dass diese Bilderinvasion eine starke Wirkung in den Köpfen hat. Sie desensibilisiert, sie macht blind für echte Probleme. Und das ist das Dumbing-down, von dem vorher die Rede war. Und daran geknüpft die Aufforderung, sich zu bilden, zu lesen, um die Bilder und ihre Bedeutung differenzieren zu können und bestimmen zu können, was ist adäquat, was ist lustig, was ist dumm, was ist grausam.
STANDARD: In dem Film, den Sie auch koproduziert haben, geht es um Bildung als vorrangiges Instrument zur Verdummungsbekämpfung? Was steckt da an persönlicher Erfahrung drinnen?
Brody: Ich hab das Material nicht erarbeitet. Ich fand es inspirierend. Mein Vater ist ein pensionierter Lehrer. Ich war in New York in einer normalen Schule. Der Film ist nicht als Generalkritik des Schulsystems gemeint. Er ist ein Memento für alle. Um nicht zu vergessen, dass junge Leute Aufmerksamkeit brauchen, Verständnis für ihre Lebenswelt, in der es so viele Möglichkeiten gibt, die Orientierung zu verlieren. Kinder verstehen die Lebenswelt der Erwachsenen nicht, nicht die ökonomischen Zwänge, sie verstehen emotionale Messages wie etwa Vernachlässigung.
STANDARD: Ihr Vater kommt aus Polen, Ihre Mutter aus Ungarn, und dann gibt's noch eine tschechische Großmutter. Sie sind quasi ein reinrassiger Wiener. Zieht es Sie nach Europa?
Brody: Ich bin schon sehr europäisch und sehr integriert in einer internationalen Community. Ich bin aber auch ein Produkt meiner Heimatstadt New York ...
STANDARD: ... die ja auch nicht uneuropäisch ist.
Brody: New York ist nicht mehr so. Das war früher. Mein Aufwachsen da war schon sehr viel weniger in europäischen Kontexten verhaftet, als die Generation davor es erlebt hat. Meine Mutter hat starke Wurzeln.
STANDARD: Interessieren Sie sich für Ihre Wurzeln. Haben Sie schon einmal nachgeforscht?
Brody: Nicht ernsthaft.
STANDARD: Nicht einmal, als Sie mit Roman Polanski am "Pianist" gearbeitet haben.
Brody: Nein. Jetzt glaube ich, ich sollte das doch mal tun. Aber mein Interesse oder Bedürfnis, in so eine Richtung zu gehen, läuft getrennt von meinen beruflichen Projekten. Wenn ich eine Rolle recherchiere, geht es mir nur um das unmittelbare Material. Für The Pianist habe ich mich mit Chopin beschäftigt, von dem ich vorher überhaupt keine Ahnung hatte. Ich habe mit Polanski gesprochen und wollte alles über seine persönliche Geschichte wissen. Da habe ich als Person nicht im Vordergrund gestanden. So persönlich das auch alles sein mag, ich musste Wladyslaw Szpilmans Leben verinnerlichen. Das war die Aufgabe.
STANDARD: Sie werden im April 40. Bedeutet Ihnen das was?
Brody: Oh Gott. Wenn ich nicht dauernd in Interviews danach gefragt werden würde, hätte ich es vergessen. Aber nein. Es bedeutet nichts. Ich fühle mich jung und alt. Ich fühle mich jünger, besser als vor 20 Jahren. Ich muss nichts mehr beweisen. Ich fühle mich weniger bedroht. Das macht mich sehr gelassen im Verhältnis zu meinen Mitmenschen. Ich hatte etwas zu verteidigen. Jetzt nicht mehr. Es gibt so viel Liebe. Man behandelt mich mit so viel Liebe. (Bettina Stimeder, Rondo, DER STANDARD, 1.2.2013)