Bildungsreisende können im Niltal an Tempelwänden die Beschädigungen sehen, mit denen die folgende Generation das Andenken an den "Ketzerpharao" Echnaton auszulöschen suchte; frühchristliche Eiferer, die den Parthenon auf der Akropolis in eine Marienkirche umwandelten, zerstörten auch einen beträchtlichen Teil der antiken Reliefs (Metopen); wer sich wundert, warum Notre-Dame de Paris innen so kahl wirkt, kann sich informieren, wie die französische Revolution beträchtlichen Kirchenschmuck verwüstete; Stalin ließ die Christ-Erlöser-Kathedrale beim Kreml 1931 sprengen (Jelzin baute sie wieder auf); 2001 sprengten die afghanischen Taliban die riesigen Buddha-Statuen im Bamyan-Tal. Und so weiter.

Ungewohnt ist jedoch das Wüten gegen die eigene Religion, das wir derzeit in Mali erleben: Die islamischen Fundamentalisten haben nicht nur in Timbuktu zahlreiche Mausoleen von islamischen Gelehrten zerstört, sondern auch eine Bibliothek mit islamischen Schriften aus dem Mittelalter abgefackelt.

Warum tun die das?

Nach diversen Berichten gehören die Islamisten in Mali zu der radikalsten Strömung des modernen Islam, den Salafisten. Sie berufen sich auf die "Altvorderen" (so die ungefähre Bedeutung des Namens), sind nicht auf bestimmte Länder und Territorien beschränkt. Sie betrachten, einfach gesagt, die gesamte moderne Welt als Feindin. Sie wollen einen nicht durch kulturelle Einflüsse im Laufe der Geschichte "verunreinigten", "wahren" Islam praktizieren. Daher sind auch andere Strömungen des Islam wie etwa der in Timbuktu früher blühende Sufismus zu bekämpfen, bzw. ist ihr Andenken aus zulöschen.

Taliban und Salafisten, die sogenannten Neofundamentalisten insgesamt, sind im Vormarsch in der islamischen Welt. Wo sie die Herrschaft haben, wie jetzt im Norden Malis und in Teilen Afghanistans praktizieren sie einen "Steinzeit-Islam" - mit Handabhacken, Steinigen, Verbot von Musik, Tanz, Kinderspielzeug, keine Schulen für Mädchen usw. usw.

Absolut intransigente Fanatiker dieser Art handeln aber auch so, weil sie der Welt zeigen wollen: Wir können das. Und ihr könnt nichts dagegen unternehmen. Es ist der Herrschaftsanspruch einer totalitären Ideologie im religiösen Gewand. Es ist ein absoluter Anspruch, der keinen Kompromiss kennt.

Der pakistanische Nuklearphysiker Pervez Hoodbhoy hat in einem Interview mit Spiegel online gesagt, man könne zwar mit manchen pakistanischen Taliban reden, sie sozusagen bestechen, aber die anderen müsse man bekämpfen und töten, weil man anders der Gefahr nicht Herr werde.

Die Ratio hinter den Interventionen in Afghanistan und jetzt in Mali ist, dass diese Neofundamentalisten ganze Staaten übernehmen und zum Zentrum eines jihadistischen Terrorexports ausbauen. Damit kann man diese Gefahr - vielleicht - eindämmen. Gänzlich besiegen wohl nicht. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 30.1.2013)