Schaukasten im 1997 geschlossenen "Rassensaal" des Naturhistorischen Museums: die "langen hohen" Schädel des "nordiden Schweden", vermeintlicher Endpunkt der "Rassenentwicklung".

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Da staunt Vormenschenfrau Lucy: Die neue Dauerausstellung überzeugt auch durch ihre lebensechten Rekonstruktionen - hier: von zwei Australopithecinen.

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Der Autor - von der neuen Morphingstation in einen Australopithecus verwandelt.

Foto: NHM Wien

Rund 60.000 Objekte - vor allem menschliche Schädel und Knochen - umfasst die anthropologische Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien. Sie ist damit eine der größten und bedeutendsten weltweit, zugleich bilden die Knochen aber auch einen der größeren "Friedhöfe" Wiens.

In den vergangenen 15 Jahren war von diesen Beständen und der regen wissenschaftlichen Forschungstätigkeit der anthropologischen Abteilung kaum etwas für Besucher zu sehen. Diese seit 1997 bestehende Lücke ist nun endlich geschlossen worden: Von heute an sind die beiden Schausäle der Anthropologie wieder für die Museumsbesucher geöffnet. Und angesichts der höchst gelungenen Neuaufstellung, welche die neue anthropologische Dauerausstellung in Saal 14 und 15 ab sofort zu den Höhepunkten des Hauses am Ring macht, mutet es umso unverständlicher an, dass die interessierte Öffentlichkeit so lange darauf warten musste.

Umstrittener "Rassensaal"

Zur Erinnerung: Vor etwas mehr als 15 Jahren war die damalige Ausstellung nach heftiger Kritik aus dem In- und Ausland endgültig geschlossen worden. Konzipiert hatte die 1978 eröffnete Schau der damalige Abteilungsleiter Johann Szilvássy, der später auch als anthropologischer Gerichtsgutachter (etwa von afrikanischen Jugendlichen) ins Kreuzfeuer geriet. Besonders umstritten war der sogenannte "Rassensaal", der bereits 1993 als "ziemlich eindeutige Veranschaulichung nazi-ähnlicher Rassenforschung" kritisiert worden war.

Der 1995 eingesetzte Generaldirektor Bernd Lötsch hatte dennoch keine allzu großen Probleme mit der tendenziell rassistischen Schau und ließ sie erst Ende 1997 nach einer zweiten parlamentarischen Anfrage schließen, zeitgleich mit der Pensionierung Szilvássys. Und obwohl damals auf einer Tafel in Aussicht gestellt wurde, "eine Neugestaltung der Anthropologischen Schausäle in nächster Zeit in Angriff zu nehmen", hinderte Lötsch die Nachfolgerin Szilvássys, die Anthropologin Maria Teschler-Nicola, während seiner Amtszeit erfolgreich daran, ihre Ausstellungskonzepte umzusetzen.

Der Weg dafür wurde erst frei, als dann Lötsch 2010 durch Christian Koeberl als Generaldirektor abgelöst wurde. Nach mehr als zwei Jahren Arbeit wird nun auf 580 Quadratmetern des Naturhistorischen Museums die Entwicklung des modernen Menschen mit beeindruckenden Objekten und Inszenierungen anschaulich gemacht.

Für die international renommierte Anthropologin war die Gestaltung der Schau wohl die größte Herausforderung ihrer bisherigen Karriere, galt es doch, das in den letzten Jahren rapide angewachsene Wissen über die Menschheitsentwicklung zusammenzufassen und dabei möglichst aktuell zu sein. Die gelungene Umsetzung nimmt dabei eine Sonderstellung im Museum ein: Anders als in den anderen Schauräumen wurde nicht primär auf " Materialien" aus den eigenen Sammlungen zurückgegriffen, sondern auf alle möglichen Rekonstruktionen.

Lebensechte Neandertaler

Höhepunkte der neuen Dauerausstellung, die unter dem Titel "Mensch(en) werden" steht, sind unter anderem die realistische Weichteil-Rekonstruktionen einiger unserer Vorfahren: Im Saal 15 stehen zwei Exemplare von Australopithecus afarensis (Foto links), die vor mehr als drei Millionen Jahren lebten und bereits aufrecht gehen konnten. Im Saal 14, der den jüngeren Entwicklungen gewidmet ist, sind unter anderem lebensechte Neandertaler zu bestaunen.

Vor allem für Kinder und Jugendliche gibt es aber auch jede Menge gelungener Hands-On- und Medien-Stationen. Gedränge wird künftig wohl um die neue Morphing-Station herrschen: Ausstellungsbesucher können sich fotografieren und sich wahlweise in einen unserer jüngeren oder älteren Vorfahren umwandeln lassen - sowie das Foto davon per E-Mail verschicken (siehe Bild links oben).

An einem der Krimiserie "CSI" nachempfundenen Computertisch wiederum wird man zum Anthropologen und kann ein virtuelles Skelett analysierten. Besucher können aber auch die Unterschiede zwischen einem Neandertaler- und einem Homo-sapiens-Schädel ertasten oder den von Maria Teschler-Nicola aufgearbeiteten Sensationsfund der Zwillinge vom Wachtberg in Krems, einer 27.000 Jahre alten Doppelbestattung von Neugeborenen - einer der zahlreichen Österreich-Bezüge der rundum gelungenen Schau.

Gestalterisches Hauptelement sind ästhetisch ansprechende Glastafeln, die mit Text, Zeichnungen und Bildern quasi in Kurzkapiteln Basisinformationen zur Menschheitsentwicklung bereithalten und so durch die Ausstellung führen. Davor gibt es Vitrinen, aber auch etliche Touchscreens, mit denen man Wissen vertiefen kann, in Zukunft aber auch auf neue Entdeckungen in der Anthropologie reagieren will, die den letzten Jahren spektakuläre Fortschritte machte.

Dass diese neuesten Erkenntnisse (etwa über den Denisova-Menschen) Teil der neuen anthropologischen Dauerausstellung sind, mag ein Trost dafür sein, dass die Öffentlichkeit mehr als zehn Jahre darauf warten musste. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 30.01.2013)