Schwer zu beschreiben, was in mir vorging. Kalte Wut. Ja, das trifft es wohl am besten. Mit diesem Gefühl stand ich vor dem Tatort.

Leblos streckte das wehrlose, ziemlich unschuldige Opfer seine Glieder von sich. Aufgewühlte Erde. Reifenspuren im apernden Schnee. Der Killer hatte ganze Arbeit geleistet, mangels Skrupeln hatte er sich nicht einmal bemüht, seine Spuren zu verwischen. Warum auch: Ist ja bloß ein Bäumchen. Ausreißen. Stattdessen die Karre hinparken. Fertig - das muss sich der Mann (einer Frau traue ich das einfach nicht zu) wohl gedacht haben.

Ich korrigiere: Er hat sich nichts gedacht. Zu einer Art "Gedanken" kann dieser Mensch nicht fähig sein. Es handelte sich wohl eher um einen instinktgetriebenen, aggressiven Reflex, der in seinem leeren, dunklen Schädel wie ein DDR-Sternspritzer vor sich hinfunzelte. Von diesem akzeleriert tschunderte dieses Wesen - das ergaben meine Cold-Case-Ermittlungen - durch die Nacht und meine Gasse im fünften Wiener Gemeindebezirk.


Das Beet, die Reifenspuren, der Baum. Im Bild: Ein Nachnutzer der Untat.

Eine ausgesprochen miese Gasse für Autobesitzer übrigens. Vor zwei Monaten hatte die Bezirksleitung die Bagger losgeschickt, um in die graueste Ecke des an sich schon grauen Winkels, in dem ich wohne, etwas Grün zu bringen. Die zuvor anberaumte Abstimmung unter den betroffenen Anwohnern brachte ein klares Votum (64 Prozent) für eine Baumbepflanzung, die dafür geopferten Parkplätze waren mir gleichgültig - und das, obwohl ich ein ziemlich viriler Fahrzeugbesitzer bin.

Feindliche Umwelt

Alle fünfzig Meter wurde also ein im Durchmesser drei Meter großes, von Pflastersteinen eingefriedetes, rundes Beet angelegt, das jeweils ein tapferer, einen Meter hoher Setzling schmückte. Sie alle starrten etwas betroppetzt in die Winterkälte. Obwohl kein Öko-Fuzzi, taten mir die Reisig-Sträußchen leid, die da in der Kälte bibberten. Zudem war ihnen die Umwelt von Anfang an feindlich gesonnen.

Als ich - es mag wohl die Zeit rund um Silvester gewesen sein - in strömendem Regen und dennoch frohgemut durch meine Hood strich, fand ich eines der Beete verwaist. Eine erdige Schleifspur, die vom Rund wegführte, weckte meine Neugier. Ich nahm die Verfolgung des entführten Baums auf, den ich in der nächsten Gasse, quer am Gehsteig liegend, auffand. Das war nicht gut. Was für ein Kretin macht so etwas? Allein: Wer fragt, geht irr, also handelte ich, packte das Opfer, stopfte es wieder in sein Beet, versuchte den Plodder-Schlamm rund um den Stamm vergeblich fest zu treten und putzte mir danach eine halbe Stunde Schuhe und Hose. Fortan war der schutzbedürftige, astige Hänfling meine ganz persönliche Angelegenheit. Und glauben Sie mir - es gibt deutlich Cooleres, als Bäumchen-Buddy zu sein.

Ausweitung des Parkraums

Seit gestern Früh ist allerdings Schluss mit Bäumchen-Buddy. Da lag er da, mein ausgerupfter Kumpel, mit erfrorenen Wurzeln. Wie ein Menetekel wiesen zwei parallel verlaufende Reifenspuren auf den toten Freund. Wieder ploppte eine Frage in meinem Schädel auf: Was für ein Mensch ist das, der, auf der Suche nach einem Parkplatz hoffnungslos kreisend und sich sicherlich mehrmals über diese "Scheiß-Beete" mit diesen "Scheiß-Bäumen" ärgernd, plötzlich einem dumpfem Utilitarismus freien Lauf lässt, aussteigt, einen Baum ausreißt, auf den Gehsteig klescht und stattdessen die Blech gewordene Langführung seiner fragwürdigen Existenz auf dem nun frei gewordenen Platz appliziert, um sich so seinen höchstpersönlichen Parkraum zu erobern?

Nun: Es gibt keine Antwort. Zumindest keine eindeutige. Sie ruht tief vergraben in der Erkenntnis, dass alles, was klein, wehrlos und irgendwie - subjektiv - nutzlos ist, einfach kaputt gemacht werden darf. Ein schönes Beispiel für asoziales Verhalten, könnte man nun dozieren. Eine gar treffliche Metapher für jenen Sozialdarwinismus, der in unserer Gesellschaft um sich greift, ließe sich daraus drechseln. Allein: Darum geht's hier nicht. Es geht einfach um ein Scheiß-Pflanzenbeet. In einer Scheiß-Gasse. Bist du glücklich, Bäumchenmörder? (Stefan Schlögl, derStandard.at, 30.1.2013)