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Was zählt mehr - Forschung oder Lehre?

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Bernd Hackl über die Leistungsvereinbarungen: "Intelligente Qualitätssicherung sieht irgendwie anders aus."

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Die Universität Graz präsentierte in diesen Tagen die endgültige Version der letzten Ziel- und Leistungsvereinbarungen, also jener unternehmerischen Errungenschaft, die in Hinkunft für die serielle Produktion wissenschaftlichen Erfolgs sorgen soll. Die hauseigene Jubelpostille "Uni-News" feiert den Abschluss als "Pionierarbeit", und diese Drohung sollte auch jenen Universitäten zu denken geben, die ihre Arbeitsplanung bislang noch nicht nach einem vergleichbar technokratischen Paradigma vorgenommen haben.

Ihr Herzstück bildet eine Art "Wechselkurstabelle", mittels welcher verschiedene angeführte Leistungen in zu sammelnde Punkte umgerechnet werden können. Durch diese Tabelle wird ein Algorithmus der universitären Qualität definiert, der quasi im Selbstlauf für entsprechende Bewertung und Mittelzuweisung sorgen soll. Wie es die arithmetische Poesie nahelegt, sind es genau 1.000 Punkte, die das Plansoll bilden und die man daher unterschreiten oder überschreiten kann. Für den ersten Fall werden Sanktionen, für den zweiten Belohnungen in Aussicht gestellt.

Worin besteht nun diese objektiv gemessene Qualität? Am Beispiel der Erziehungswissenschaften: zunächst natürlich in Forschung. Allerdings kann man durch einschlägige Leistungen - und seien sie noch so herausragend - nicht mehr als 30 Prozent der möglichen Punkteanzahl lukrieren. Das mag schon einmal nachdenklich stimmen, denn die Produktion von Wissenschaft war ja einmal das sogenannte "Alleinstellungsmerkmal" der Universitäten. Da nimmt sich ein schwaches Drittel doch ein wenig bescheiden aus.

Noch nachdenklicher wird man indessen, wenn man betrachtet, in welchen Maßeinheiten diese wissenschaftliche Qualität gemessen wird: in Aufsätzen, die in referierten Fachzeitschriften publiziert wurden - dafür gibt es 50 Punkte. Weiters in Drittmitteleinnahmen aus der hochrangigen Forschungsförderung ("Hochschulraum-Strukturmittel"), dafür gibt es ebenfalls 50 Punkte. Sodann - hier konnte aus Alternativen gewählt werden - in gemeinsamer Forschung mit den pädagogischen Hochschulen, ein echt herausragender Qualitätsindikator, daher auch gleich 100 Punkte. Last not least durfte auch noch gewählt werden zwischen "Monografien und Sammelwerke" oder Beiträgen in solchen. Ja, richtig gelesen. Mit dieser Vorgabe sind also entweder ganze Bücher nicht mehr leistungsrelevant oder aber Beiträge in Büchern.

Täuschungsmanöver

Es kann gar nicht oft genug und soll daher auch an dieser Stelle deutlich ausgesprochen sein: Das Täuschungsmanöver, man sichere Qualität durch Zählung (und stetige Hinaufsetzung) der Häufigkeit von Publikationen, Projekten etc., ist ein Sargnagel jeder innovativen und inhaltlich seriösen Wissenschaft. Wer schon bisher engagiert und fleißig gearbeitet hat, der wird auch durch einen vorgehaltenen Messindikator seine Kapazität nicht steigern können. Und der immer gerne ins Treffen geführte pragmatisierte Faulenzer wird durch sie ebenfalls zu keiner Leistungssteigerung animiert.

Womit aber zu rechnen ist, sind die naheliegenden Taktiken, mit denen man versuchen kann, der schlichten Logik des Abzählens zu entsprechen. Sie heißen: Opportunismus, Vermeidung von Innovation und Originalität sowie Ausdünnung der Substanz. Wenn man sich hütet, ein noch nicht geläufiges Thema aufzugreifen oder einen kontroversiellen Ansatz zu verfolgen, also nur mitmacht, was gerade allseits in Mode ist, kann man einigermaßen sicher sein, kein großes Risiko einzugehen. Im kleinen Kreis wurde schon achselzuckend die Devise ausgegeben, man müsse jetzt statt eines längeren Aufsatzes, in dem ein Thema ausführlich und stringent bearbeitet wird, eben drei kurze Aufsätze schreiben, in denen wechselseitig aufeinander verwiesen wird. Intelligente Qualitätssicherung sieht irgendwie anders aus.

Exotica versus Lehre

Was darf sonst noch dem revolutionären Messinstrument zugeführt werden? Natürlich: Lehre, aber auch diese ergibt wieder nur maximal 30 Prozent. Immerhin kämen damit gute Wissenschaftler, die ihre Forschung didaktisch angemessen in ihre Vorlesungen und Seminare umsetzten, schon einmal auf 600 Punkte. Sollte man meinen, doch weit gefehlt. Bloß einfach gute forschungsbasierte Lehre zu machen bringt nämlich genau 0 Punkte.

Dafür kann sich wertvolle Punkte holen, wer sich an einem "Vorhaben zur Reorganisation der STEOP" (Studieneingangs- und Orientierungsphase) beteiligt, eine bestimmte "Anzahl englischsprachiger Lehrveranstaltungen" durchführt, "AbsolventInnen mit studienrelevantem Auslandsaufenthalt" bewerkstelligt oder sich an einem "Projekt: Qualitative und quantitative Parameter zur Bewältigung qualitätsvoller Betreuungsleistungen im Bachelor-, Master- und Doktoratsstudium" beteiligt - alles Items, für welche der Titel "Exotica" vielleicht besser gepasst hätte als "Lehre". Besonders pikant ist der Umstand, dass auch Punkte vergeben werden für Vorgänge, die wir gar nicht beeinflussen können: Auslandsaufenthalte von Studierenden müssen sich diese erst einmal leisten können, und dies ist in Zeiten des sozialen Kahlschlags gar nicht so einfach. Vor allem aber können wir sie dazu nicht verpflichten.

Akademische Schleudersitze

Wir halten nun, nach willkürlich buchhalterisierter Forschung und in Wunschprojekte aufgelöster Lehre, aber jedenfalls erst bei 600 der notwendigen 1.000 Punkte. Damit kommen wir, ob wir wollen oder nicht, zur nächsten Station: wissenschaftlicher Nachwuchs, Score: 150. Und ach, was steht gleich an erster Stelle? "Anteil befristeter Dienstverhältnisse im Mittelbau". Hat sich hier etwa doch ein Funke wissenschaftspolitischer Aufklärung eingeschlichen? Die Sorge ist unbegründet: Die Punkte gibt es für eine Vermehrung der akademischen Schleudersitze, nicht für ihre Verringerung.

Möglichst viele Befristungen und die damit verbundene permanente Fluktuation und Neuqualifizierung des Personals sind offenbar für den Aufbau der heimischen Weltklasse-Uni wie für den wissenschaftlichen Fortschritt ganz generell eine zielsichere Messgröße. Man erhält daher auch gleich viele Punkte dafür wie für die so hoch gehaltenen Beiträge in referierten Fachzeitschriften, nämlich 50. Das ist eben "Lehre und Forschung in Zahlen und Fakten [sic!] gegossen" ("Uni-News"). Weiterhin gibt es unter den Überschriften "Personal" und "Gesellschaftliche Ziele und Kooperationen" auch noch Punkte für Fremduni-Aufenthalte des wissenschaftlichen Nachwuchses, einen erhöhten Frauenanteil bei ProfessorInnen, Drittmitteleinnahmen von nichtwissenschaftlichen Auftraggebern, Publikationen für "Professionals" und Ähnliches.

Dass es bei diesem Potpourri, das ich hier aus Platzgründen nicht in jedem Detail dokumentieren kann, weniger um wissenschaftliche Qualitätssicherung als um dirigistischen Ein- und Durchgriff geht, wird aus Inhalt und Gewichtung der Items jedenfalls mehr als offensichtlich. Was als dienstliche Weisung passiven Widerstand, lauten Protest oder gar die Anrufung der Personalvertretung erwarten ließe, soll so als technischer Automatismus bewerkstelligt werden, als Mechanismus, der nach der Logik (und mit der Intelligenz) eines Raumthermostats prozessiert: Sinken die Messwerte bei den vorgeschriebenen Zielen über ein bestimmtes Maß hinaus, stellen sich Sanktionen ganz von alleine ein. Ganz alleine wir selbst haben sie dann also auch hervorgerufen.

Objektivität?

Indessen droht dieses Schicksal nicht allen: Zwar suggeriert das System eine zumindest primitive Form der egalitären Objektivität, denn vor dem Reißwolf der automatischen Zählmaschine scheinen zunächst alle gleich. Doch wird die Menge der eingeforderten Leistungen an der Anzahl der vorhandenen "Senior Researcher" nur bemessen, diesen aber nicht personell zugerechnet. Jeder einzelne Akteur kann also auch weiterhin durch willkürliche Ressourcenzuwendung begünstigt oder durch -entzug beschnitten werden, ganz unabhängig davon, welche Leistungen er zum Gesamtergebnis beigesteuert hat.

Und so erweist sich die "Pionierarbeit" als nichts anderes als der Versuch, unter technokratische Kontrolle zu stellen, was einer solchen weder bedarf noch zugänglich ist. Die Wissenschaft, auf die wir unseren akademischen Eid geschworen, für die wir uns begeistert und der wir unsere berufliche Biografie gewidmet haben, lebt von der freien und unbehinderten Entfaltung von Neugier und Ausdauer, von Suche und Erkenntnis, von Beobachtung und Argument. Durch technokratische Gängelungsmanöver kann sie nur beschädigt werden, und wenn wir unsere akademische Selbstverpflichtung ernst nehmen, müssen wir uns in dieser Frage künftig noch lauter, öffentlicher und zahlreicher zu Wort melden, als dies schon bisher der Fall war. Bevor es wirklich zu spät ist. (Bernd Hackl, DER STANDARD, 29.1.2013)