Ein knackiges Triple-Rohr an der Flanke: Erkennungszeichen der neuen MV Agusta Brutale.

Foto: mv agusta

125 PS mobilisiert der aufgebohrte und kernoptimierte 3-Zylinder-Motor.

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Die neue MV Agusta: Ziemlich brutale Wiedergeburt einer Marke.

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Wirft man einen Blick in die Motorradgeschichte, findet man immer wieder Hersteller, die sich zu den heißen Eisen hinaufgearbeitet haben. Opel etwa baut zuerst Nähmaschinen, später Fahrräder. 1901 läuft dann das erste Motorrad vom Band. Autos bauen die Söhne von Adam Opel damals seit drei Jahren. Nach 1915 bauen die Opel-Werke sogar Flugzeugmotoren.

Graf Giovanni Agusta hat damals schon einen guten Namen als Flugzeugpionier. Seit 1908 fertigt er Flugzeuge. Heute noch steht der Name Agusta nicht nur für die älteste italienische Flugzeugfabrik, sondern für den zweitgrößten Hersteller von Hubschraubern. Gut, die Firma fusionierte mit der britischen Firma Westland Helicopters zu AgustaWestland, aber das soll uns nicht weiter kümmern. Denn auch das Motorradunternehmen MV Agusta, welches Domenico Agusta, Sohn des Flug-Grafen 1945 gründete, ist wie ein Wanderpokal herumgereicht worden.

38 Mal Weltmeister

Nach der Fliegerproduktion baut der Graf ab 1927 Motorräder. MV Agusta kann also schon auf einem gescheiten Fundament aufbauen. Wie gut sie das machen, sieht man an den 38 Weltmeistertiteln, die Giacomo Agostini, Mike Hailwood oder Carlo Ubbiali in die Firma nach Varese gebracht haben.

Inzwischen führt wieder ein Giovanni das Zepter bei MV Agusta. Giovanni Castiglioni. Dessen Vater kaufte 1992 die Markenrechte, 12 Jahre nachdem MV Agusta die Produktion wegen finanzieller Erfolglosigkeit einstellen musste. Der alte Castiglioni, der auch Aermacchi und Ducati unter die Arme gegriffen hat und später Husqvarna an BMW verkaufte, schmeißt auch MV Agusta auf den Markt und verkauft die Marke für angeblich rund 70 Millionen Euro an Harley Davidson.

Die Castiglionis ziehen den Karren ins Trockene

Nach zwei Jahren ist MV Agusta aber wieder zurück in der Castiglioni-Gruppe. Den Rückkauf erledigte Claudio Castiglioni noch selbst, bevor er rund ein Jahr später an Krebs starb und das Unternehmen seinem Sohn übergab. Letzterer kann seit ein paar Wochen vermutlich vor lauter Stolz gar nicht mehr gehen. Denn seit die ersten Bilder der neuen MV Agusta Brutale 800 öffentlich wurden und die ersten Journalisten damit gefahren sind, überschlagen sich die Lobeshymnen für dieses Motorrad.

Jetzt wissen wir eh, dass MV Agusta keine krapfenhässlichen Motorräder baut, aber die drei Orgelpfeifen, aus denen der 798 Kubikzentimeter großen Reihen-Dreizylinder schnaubt, sind der pure Wahnsinn. Kein plumpes, raumgreifendes Ofenrohr brüllt den Drei-Viertel-Takt in die Welt, sondern ein sehr knackiger Dreizack dient als Sprachrohr. Und dann die Einarmschwinge, das schlanke Heck, der Rahmen, die Felgen. Der Graf tat sich seinen Schnurrbart frisch zwirbeln und auf 12 stellen, vor lauter Freud. Jede Wette.

Ride-by-wire

MV Agusta bohrt den 675er-Motor auf, erhöht die Verdichtung auf 13,3:1, spendiert eine neue Kurbelwelle, neue Kolben und Pleuel. Fertig. Na gut, die Übersetzung wird noch ein wenig geändert, damit die jetzt 125 PS starke Brutale mit ihrem Drehmoment von 81 Newtonmeter nicht auch noch im vierten Gang ansatzlos Männchen macht.

Geridet wird jetzt bei wire, was natürlich zur Folge hat, dass der Fahrer aus diversen Fahrmodi wählen darf. Sport, Normal, Rain und Custom. Weil die Brutale aber Brutale heißt - und nicht Carina - ist die Sport-Einstellung quasi Pflicht. Brutale ist auch das Sitzerl. Gut gepolstert ist die Sitzbank nicht, dafür verbeißt sie sich jetzt besser am Hinternleder.

Boden gut machen

Nein, nein, fürs Cruisen ist die Brutale nicht gedacht und nicht gemacht. Dafür darf man sie gerne einmal über Rennstrecken prügeln. Das liegt ihr eher. Außerdem ist dann die Tankstelle nicht so weit weg, wenn die 16,6 Liter Sprit aus dem blattlvollen Tank in Knieschleiferabrieb umgesetzt wurden. Es geht übrigens gar nicht so weit runter, bis das Haxerl aufsetzt. Sitzhöhe: 810 Millimeter. Da verlieren also auch ausgewachsene Italiener an der Ampel nicht an Bodenhaftung.

Boden gut machen, das wollen die Castiglionis jetzt, mit MV Agusta, wie scheint. Denn die 800er Brutale kommt ab 12.170 Euro - damit hat wohl niemand gerechnet. Um weitere 460 Euro verbaut MV Agusta auch gleich einen Schaltautomaten in die Brutale. Sag ich ja. Nix zum Cruisen. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 28.1.2013)