Die original erhaltene Synagoge, Herzstück des jüdischen Museums in Eisenstadt, war die Privatschul' des Rabbi Wertheimer.

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Marion Fischer erzählte von Flucht und Vertreibung aus Bad Sauerbrunn.

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Eisenstadt - Im März vor 75 Jahren hat sich - manche sagen: wurde - Österreich Nazi-Deutschland angeschlossen. Im Burgenland kam mit diesem Anschluss unmittelbar die Vertreibung der hier seit Jahrhunderten lebenden Juden. Schon im Herbst hieß es, der östlichste Zipfel der " Ostmark" sei "judenfrei". In Mattersburg, geistliches Zentrum der Orthodoxie, hisste der Bürgermeister jubelnd die weiße Fahne.

Historiker rätseln bis heute über diese Schnelligkeit des brutalen Vorgehens. Mancher mutmaßt, es sei quasi ein Probelauf gewesen für die Sozialverträglichkeit des plötzlichen Verschwindens der Nachbarn. Und es war wohl eine Konsequenz dieser Plötzlichkeit, dass sich da die Legende gehalten hat, es sei bis dahin eigentlich ein friktionsfreies Zusammenleben gewesen.

Die Historikerin Ursula Mindler von der Budapester Andrássy-Universität hat diese Legende am Beispiel Oberwart abgeklopft und für recht hohl befunden, wie sie im jüdischen Museum in Eisenstadt dargelegt ist. Die Historikerin war auf Einladung der burgenländischen Forschungsgesellschaft gekommen, die sich seit vielen Jahren darum bemüht, die Vertriebenen zu Wort kommen zu lassen. Deren 2004 im Mandelbaum-Verlag erschienenes Buch Vertrieben beruht auf ausführlichen Interviews, die dabei entstandenen Filmaufnahmen sollen demnächst als DVD-Reihe herauskommen - wenn es sich finanziell irgendwie ausgeht.

Geldfragen

Schließlich ist auch das Erinnern letztlich eine Frage des Geldes. Das musste Johannes Reiss, der Direktor des jüdischen Museums in Eisenstadt, das im Vorjahr seinen 40. Geburtstag gefeiert hatte, bei seinem Projekt erfahren, eine Datenbank über den jüdischen Friedhof in Mattersburg zu erstellen. Dessen Grabsteine waren nur noch auf alten Fotografien zu finden.

Reiss konstatiert allerdings - auch anhand der sehr gut besuchten Veranstaltungen der Forschungsgesellschaft - ein wachsendes Interesse am jüdischen Leben im Burgenland.

Patschert

Aktuelle Anschauung dafür gebe es freilich nicht mehr. Jüdisches Leben sei, anders als für seine Kollegin Daniela Spera in Wien, für seine Klientel bloße Erinnerung. Das führe zuweilen auch zu patscherten Verhaltensweisen gerade der Gutmeinenden. "Wenn man zum Beispiel eine Veranstaltung ausgerechnet am Freitagabend ansetzt, oder wenn Männer ohne Kopfbedeckung auf den Friedhof gehen."

Im Grunde arbeiten das jüdische Museum, die Forschungsgesellschaft und die vielen örtlichen Initiativen an der Schlusseulogie, dem Segenswunsch, der sich auf praktisch allen jüdischen Grabsteinen findet: T. N. Z. B. H. Tehi nafscho bizror ha-chajim - seine Seele möge eingebunden sein im Bund des Lebens.

Noch allerdings lebt, mit den Zeitzeugen, zumindest die unmittelbare Erinnerung. Unlängst im Eisenstädter Museum in Person von Marion Fischer, die, kaum zweijährig, aus Bad Sauerbrunn hinausgeworfen wurde. Sie und ihr Bruder - der verstorbene Jazzer Oscar Klein - überlebten, nachdem der Familie die Einreise nach Palästina verweigert worden war, in Italien und in der Schweiz. Nun, als ältere Dame, zieht Marion Fischer durch die Schulen des Landes, um das Ihre dazu beizutragen, dass die Erinnerung an das jüdische Burgenland nicht völlig verblasst.

Johannes Reiss, der Museumsdirektor, hält diese Erinnerung buchstäblich am Laufen. Im Vorjahr hat er begonnen, die jüdische Ortsgeschichte in die Straßen und Plätze von Eisenstadt hinauszutragen, nach Asch, wie Eisenstadt nach den Initialen Alef und Schin auf Hebräisch heißt.

Und seit dem Herbst gibt es Museumsführungen der eher sportlichen Art. Da lädt Reiss zum Jewish Sight Run auf den Leithaberg hinter der burgenländischen Hauptstadt, bei dem man erfahren kann, warum der Wolfgarten nichts mit dem Rotkäppchen zu tun hat - und was es mit der uralten Linde "beim Juden" auf sich hat. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 28.1.2013)