Eine der regressivsten Trotte leien dieses Säkulums ist und bleibt doch das Dschungelcamp. Ich schaue mir diesen Humbug nie an, entnehme aber den Medien, dass die Hauptattraktion des Formats darin bestehe, C-Promis beim Verzehr von Unrat und Unflat betrachten zu können. Das Ganze scheint eine zeitgenössische Fortsetzung

der römischen Gladiatorenspiele zu sein, nur kommen statt Kurzschwert und Fangnetz heute Sandwürmer und Kotzfrüchte zum Einsatz. Bon appetit!

Was ist der Lustgewinn für den Zuseher? Erstens die Schadenfreude. Selbst sitzt man weit weg vom Schuss auf dem Sofa und isst gemütlich Goldfischli. Die Dschungelheinis versumpfen draußen in einem australischen Dreckloch und verköstigen sich widerwillig mit Silberfischli.

Zweitens spielen die Betreiber des Camps lustvoll mit der Urangst, dass jedermann in einer Notsituation theoretisch gezwungen sein könnte, etwas zu sich zu nehmen, was er sonst nie zu sich nähme: das fette Beefsteak für den Veganer, ein appetitlicher Block Foie gras für den Low-Fat-Fanatiker, das Fläschchen Tokaier für den Anonymen Alkoholiker, das Tofugulasch für Dr. Hannibal Lecter. Ein Horror! Der Inbegriff dieser Angst aber, der kulinarische Albtraum schlechthin, ist das Ziegenauge.

Jeder Fernreisende, der auf sich hält, wird Ihnen die Story erzählen, wie er einst in einer jemenitischen Lehmhütte oder mongolischen Jurte zu Tische saß, als ihn plötzlich aus der Suppe, dem Eintopf, dem Pudding oder dem Digestif treuherzig das Ziegenauge anblickte. Stets ist das Setting der Szene so, dass der Gastgeber (entweder der Dorfälteste oder der Lokal mafioso) feierlich erklärt, es gebe keinen größeren Gunstbeweis für einen Gast als den, mit dem Ziegenauge bekocht zu werden. Da helfen keine faulen Ausreden ("Mein Internist hat mir Ziegenaugen verboten"), da heißt es in den sauren Apfel beißen. So archetypisch ist dieses Vorkommnis, dass ihm Steven Spielberg (in Indiana Jones) gar ein filmisches Denkmal gesetzt hat.

Warum gibt es eigentlich keinen nervenärztlichen Fachausdruck für die Ziegenaugenphobie der Reisenden? Die Psychiater haben doch sonst für jede Wald-und-Wiesen-Angst einen Fach begriff zur Hand: Agoraphobie, Klaustrophobie, Xenophobie. Nur für die Ziegenaugenangst gibt es keinen. Wäre an der Zeit, diese Lücke endlich zu füllen. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 26./27.1.2013)