Weder der Staatsschutz noch die Spionageabwehr griffen ein. Unzensiert durfte die Pekinger "Abendzeitung" zum ersten Mal seit 1949 preisgeben, wo Chinas 2,3 Millionen Soldaten im Land stationiert sind. Sie druckte eine Karte mit den Namen aller 18 Truppenstandorte und den Kennzahlen der 18 Armeen. Seit Gründung der Volksrepublik fielen solche Angaben unter Staatsgeheimnisse. Zeitungen mussten "Armeeeinheit XX" schreiben, als etwa zu Zeiten des Koreakriegs 1952 die Volksbefreiungsarmee fünf Millionen Mann in 70 Armeeverbänden zählte. Chinas Reformarchitekt Deng Xiaoping ließ für seine Wirtschaftsreformen die Streitkräfte auf ihre heute 2,3 Millionen Soldaten in 18 Armeen reduzieren. Aber ihre militärischen Namen oder Kennziffern durften bis vergangene Woche noch nicht öffentlich genannt werden.

1989 rätselten Beobachter des blutigen Massakers vom 4. Juni 1989, von wo die Truppenverbände herkamen, die in Peking die Demokratiebewegung zusammenschossen. Heute heißt es offiziell: Für den Schutz der Hauptstadt waren und sind die 27. Armee (Standort Shijiazhuang), die 38. Armee (Standort Baoding) und die 65. Armee (Standort Zhangiiakou) zuständig. Der Militärforscher Li Daguang von der Verteidigungshochschule sagte der "Kantoner Tageszeitung": "Wir leben im Informationszeitalter. Stationierungsorte und Kennziffern haben nur noch geringen Geheimniswert."

Träger und Bomber

Am 15. Jänner gab Peking die Enthüllungen frei, die mehr über das neue Selbstbewusstsein der Armee als über ihre Transparenz aussagen. Die Militärs verstecken sich nicht mehr hinter "XX". Das gilt auch für ihre Waffensysteme: 2012 durften Fotos von Prototypen neuer Tarnkappenbomber veröffentlicht werden ebenso wie über den ersten Flugzeugträger Liaoning. Das Fernsehen zeigte, wie J-10-Kampfflugzeuge auf diesem landeten. Peking stellte auch sein Beidou-Satellitenortungssystem vor, mit dem Armee und Marine nicht mehr vom USA geschaffenen GPS-System abhängig sind. Zug um Zug verändert China so seine defensive Doktrin in eine Vorwärtsverteidigung. Das Konzept der Volksarmee hat ausgedient.

Video: Kampfjet J-10

Video: Flugzeugträger Liaoning

Der Vizechef der Zentralen Militärkommission Xu Qiliang sagte vor Einheiten an der Ostküste, dass die Armee "Eliteverbände" ausbilden muss, die, "wenn es notwendig wird, die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Sicherheit des Staates schützen können". Die Streitkräfte müssten in der Lage sein, Kriege führen und gewinnen zu können, zitierte ihn die Armeezeitung "Jiefangjunbao". China zeigt Muskeln.

Vor dem Hintergrund seines Streits mit allen Nachbarn im Ost- und Südchinesischen Meer heizt es damit das Wettrüsten in der Region an. Umso mehr, weil sich der Konflikt nicht nur um territoriale Besitzansprüche auf Inseln und Seegebiete dreht, sondern auch um wirtschaftliche Interessen an den Fischgründen und vermuteten unterseeischen Rohstoffen.

Die Sicherheit des Landes würde "vom Meer her bedroht", sagte Marinekapitän Mei Wen, politischer Kommissar des 2012 in Dienst gestellten Flugzeugträgers Liaoning, heißt es auf der offiziellen Armeewebseite China Military Online: China sei immer provoziert worden, als es Anfang 2012 zum Streit mit den Philippinen um die Huangyan-Inseln kam, dann mit Vietnam um die Xisha- und Nansha-Inseln (Paracel- und Spratley-Inseln). Seit Herbst eskalieren die Auseinandersetzungen mit Japan um die Diaoyu-Inseln (Senkaku). "In dieser grimmigen Lage braucht die Marine Kampfkraft, um nationale und überseeische Rechte und Interessen schützen zu können."

Wehrbudget wächst zweistellig

Geld scheint kein Problem zu sein. Der Wehretat stieg in den vergangenen 15 Jahren schneller als das Bruttosozialprodukt. Im März wird der Volkskongress einen neuen Etat für 2013 verabschieden. Wenige zweifeln, dass er wieder zweistellig wachsen wird. Chinas Streitkräfte lagen viele Jahre technologisch zurück. Nun holen sie auf. Ausrüstung und Kampfstärke der Lufteinheiten hätten sich "rasch entwickelt" schrieb die Armeezeitung. Die Armee soll nun forciert lernen, damit umzugehen, beschloss der Generalstab.

Er verlangte von der Luftwaffe, Einsätze mit modernen Kampfhubschraubern des Typs WZ-10 und WZ-19 zu trainieren. Diese Ausbildung sei Teil einer "strategischen Wende". Die Hubschraubereinheiten sollen nicht mehr nur "logistische Unterstützung" leisten, sondern geschult sein, auch "Kampfeinsätze zu fliegen". Die "Sicherheit des Staates" und der "Schutz seiner maritimen Rechte und Interessen" sollten Schwerpunkte 2013 sein, schreibt die Armeezeitung. (Johnny Erling, DER STANDARD, 25.1.2013)