HGich.T ballert Gaga-Techno. Auch dabei: Autor und Staatsanwalt i. R. Dietrich Kuhlbrodt.

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Sinn ist die letzte Zuflucht für all jene, die es nicht ertragen können, dass das Leben komplett für den Hugo ist. Wenn wir schon sonst nichts haben, eine Meinung zu allem und jedem lassen wir uns sicher nicht verbieten. Dabei geht doch alles den Bach runter, obwohl es uns theoretisch so gut gehen könnte. Die Welt kommt auf keinen grünen Zweig. Das macht uns fertig. Dafür müssen die anderen büßen. Die anderen, das sind wir.

Das anarchistische norddeutsche Dada- und Gaga- und Stumpftechno-Kollektiv HGich.T hält sich diesbezüglich nicht mit etwaigen Sachzwängen, Konstruktionen einer angeblichen Realität, menschlicher Vernunft auf - oder auch nur mit höflichen Zugeständnissen an Würde und Anstand, zivilisierte Umgangsformen, auktoriale Erzählpositionen oder guten Geschmack. Hier geht es mit dem Schlachtruf "Mama! A - A!" dorthin, wo die Menschen vergessen wollen, dass sie am Ende immer mit sich selbst zu tun haben werden.

Mit ihrem Debütalbum "Mein Hobby: Arschloch" von 2010, dem 42 Sekunden dauernden Hit "Hauptschuhle" (sic!) oder Partykrachern wie "Tutenchamun" oder "Harz For" ("Der Wellensittich von mei'm Nachbarn schaut mich traurig an. Ich geh erstmal rübb-ehr und reich ihm ein Stück Mett-Wuuuurst.") haben sich HGich.T eine treue akademische Prekariatsgefolgschaft erspielt. Die hat nach dem Elend der jahrelangen Sinnstiftung entdeckt, dass ohne Reue Party zu machen als Lebensentwurf eigentlich ausreicht - solange man sich sedieren kann. Vor allem über ihre komplett durch den Wind geschossenen Videoclips auf Youtube gelten HGich.T heute als echte Alternative für junge Leute, denen etwa Deichkind mit Arbeit nervt oder Bück dich hoch zu erwachsen und verbissen daherkommen.

Das will etwas heißen! Was genau, ist egal. Nach vom Publikum aufgrund ihrer demonstrativen Sinnverweigerung teilweise auch mit blankem Unverständnis und berechtigtem Entsetzen aufgenommenen Liveshows und weiteren dilettantischen Clips wie In der Sekte wird gebumst und Engtanz auf der Loveparade oder Tripmeister Eder ("Es war vor 15 Jahren, wir tanzten oft im Kreis, keine Macht den Drogen, das ist das, was ich noch weiß.") ist Ende 2012 ein neues Album erschienen.

Weitgehend unbemerkt von Qualitätspresse und Geschmackspolizei stellt "Lecko Grande" einen weiteren Tiefpunkt deutscher Ravekultur dar. HGich.T setzt sich aus Künstlern, Leuten, die irgendwas mit Medien machen, Akademikern und dem 70-jährigen ehemaligen Oberstaatsanwalt, Schlingensief-Schauspieler, Autor und Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt zusammen. Im Vordergrund stehen dabei die frei zwischen Volksschulkind, Drogenmissbrauch und höherem Unsinn frei assoziierten Texte eines meist im Hintergrund gegen den Rhythmus und den Reimzwang kämpfenden C-Beamtendarstellers namens "Anna-Maria Kaiser".

Vorn ist die Hölle los, hinten stampft ein unbarmherziger Doof-Technorhythmus, den sich Stadttheaterregisseure in der deutschen Provinz zur Vertonung schlecht besuchter Dramatisierungen von alten Rainald-Goetz-Tagebüchern ausgedacht haben könnten. Ein zentrales Stück Verweigerung nennt sich "Diddel der Mäusedetektiv", ein anderes "Die letzten Titten von Betlehem".

Der Hit des Albums nennt sich "Ich liebe dich egal ob du 16 bist" und beinhaltet die schönen Zeilen "Du liebst mich, egal ob ich ein Pfosten bin." Für eine glückliche Jugend ist es nie zu spät. Yo!  (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 25.1.2013)