Wien - Es ist eine Entscheidung, die Revanchegelüste anstachelt. "Na, liebe Zivis in den Altersheimen dieses Landes: Heute schon brav in die Suppenschüsseln gespuckt?", fragt ein Poster unter dem Namen Cynicism. "Die Meinung der Alten zum Schicksal der Jungen sollte man einfach ignorieren", fordert ein anderer, während ein Dritter unter dem Pseudonym "Leiden des jungen Bürgers" klagt: "Ich finde es so dermaßen dumm, dass ich zu so etwas Sinnlosem gezwungen werde!"
Die drei STANDARD-Leser sind keine Ausnahmen. So mancher junge Österreicher fühlte sich bei der Volksbefragung vom Sonntag überrollt. Laut Erhebung des Sora-Instituts stimmten 63 Prozent der Bürger unter 30 gegen die Wehrpflicht, doch die Masse der Älteren war nicht zu biegen. Die Umfragedaten sind umstritten, klar ist aber: Garant für den Status quo waren die Senioren.
Damit die Alten umsorgt werden, "müssen die Jungen in den Gatsch hupfen", bilanziert Bernhard Heinzlmaier mit viel Verständnis für den Frust der Unterlegenen. Von der "Hierarchie alter Männer" in der Arbeitswelt bis zur von Wirtschaftsinteressen gesteuerten Bildungsdebatte vermisst der Jugendforscher quer durch die Gesellschaft "Empathie" für Bedürfnisse der Jungen: "Österreich wird zur Ego-Gerontokratie."
Die demografische Entwicklung nährt derartige Ängste. Bis 2040 wächst das 65-plus-Heer um eine Million (siehe Grafik) - und gewinnt bei Wahlen entsprechend an Gewicht. Überdies schreiten die Oldies disziplinierter zu den Urnen, so auch am Sonntag: Über 60 lag die Beteiligung bei 53 Prozent, unter 30 bei 46 Prozent.
Das allgemeine Wahlrecht will Johanna Zauner dennoch nicht aushebeln. Wer Demokratie ernst nehme, müsse Mehrheiten auch bei Übermacht der Älteren akzeptieren, sagt die Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, doch umso stärker solle die Politik für Ausgleich sorgen. "Um die vielen Jungen, die gegen die Wehrpflicht sind, nicht total vor den Kopf zu stoßen, muss die Regierung ihre Anliegen ernst nehmen", verlangt Zauner - und registriert das exakte Gegenteil. Über Forderungen wie einen kürzeren und besser bezahlten Zivildienst wollten SPÖ und ÖVP nicht einmal diskutieren: "Wir werden ignoriert."
Abgetörnt von der Politik
Zauner kennt das Gefühl. Auch bei Budgetverhandlungen müssen die Jungen draußen bleiben, während die Senioren selbstverständlich am Verhandlungstisch sitzen. "Es wird über uns geredet, aber nicht mit uns", sagt sie. Kein Wunder, dass sich viele junge Menschen enttäuscht abwendeten.
Der Ärger in Zahlen: Laut einer Umfrage im Auftrag der Uni Graz kümmert sich die Hälfte aller Bürger zwischen 15 und 29 Jahren "so gut wie gar" nicht um Politik - bei den über 60-Jährigen ist es nur ein Viertel. Generelle Ignoranz lasse sich daraus nicht schließen, warnt die Sozialforscherin Eva Zeglovits von der Uni Wien, beweise unorthodoxes Engagement wie Hörsaalbesetzungen oder "Buycotting", also politisch korrektes Konsumverhalten, doch Interesse. Was Junge aber abtörne, sei die klassische Politik, wie sie alteingesessene Parteien verkörpern.
"Man wird oft belächelt"
Warum, war unlängst bei einer Enquete zum Generationenkonflikt im Parlament zu erfahren. Von der lebensfernen Phrasendrescherei fühlt sich der potenzielle Nachwuchs abgestoßen, und von den monolithischen Apparaten, die Außenseiter aussperrten. "Man wird oft belächelt", erzählt die 19-jährige Conny Kolmann aus ihrer Erfahrung als Bundesschulsprecherin. Eng sei das "Netz der Älteren" geknüpft: Ein junger Mensch finde da kaum Zugang.
Wer in einer Partei Tritt fassen wolle, lerne zuallererst eine Regel, sagt Markus Roth, Chef der Interessenvertretung Junge Wirtschaft: "Jetzt machst einmal, was die Alten sagen - dann schauen wir, obs d' weiterkommst." Je schräger die Ideen, "desto schneller bist du weg vom Fenster", glaubt Roth zu wissen und sieht die Republik "von den Alten regiert". Beweis sei die Pensionsdebatte: Die Pensionistenlobby bremse nötige Einschnitte so lange, bis für die Jungen kein Geld übrig bleibe.
Andere Fürsprecher der vermeintlich Betrogenen stimmen in diese Klage freilich nicht ein, sondern siedeln den Verteilungskonflikt eher zwischen Arm und Reich an. Die Bundesjugendvertretung ist peinlich bemüht, ein "Spiel Alt gegen Jung" (Zauner) zu vermeiden - und präsentiert Ideen für die Pensionsreform gerne gemeinsam mit Seniorenvertretern.
Allianzen wie diese stimmen die Forscherin Zeglovits optimistisch. Selten klafften die Interessen von Alt und Jung so weit auseinander wie bei der Wehrpflicht, sagt sie und verweist auf gemeinsame Anliegen wie Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und Umwelt. Zeglovits glaubt deshalb nicht, dass die Befragung am Sonntag der Auftakt zu einem Clash der Generationen war.
Um vorzubeugen, empfiehlt Jugendforscher Heinzlmaier, auf das "Elend der direkten Demokratie" tunlichst zu verzichten: Bedingungsloser Vorrang für den Mehrheitswillen führe zu nichts anderem als einer "Herrschaft der Alten". (Gerald John, DER STANDARD, 24.1.2013)