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Nicht stets einig: Lincoln (Daniel Day-Lewis) und First Lady (Sally Field).

Foto: David James/AP/Dreamworks

Wien - Wovon träumen stressgeplagte US-Präsidenten? Eine Antwort auf diese Frage gibt es in Steven Spielbergs Lincoln recht bald einmal zu Beginn zu sehen. Das 16. Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten steht an Deck eines Schiffes, das in nächtlicher Dunkelheit einem ungewissen Ufer entgegenrast. Es ist ein unheilschwangeres Bild, das, wie dies Träume oft an sich haben, zutiefst uneindeutig bleibt. Abraham Lincoln wird die Botschaft seines Unbewussten deshalb mit seiner Frau Mary Todd (energisch verkörpert von Sally Field) analysieren: Nicht die nächste Schlacht im seit Jahren wütenden Bürgerkrieg mache ihm so sehr zu schaffen, lautet schließlich die Einsicht, sondern die Bürde der Abschaffung der Sklaverei.

Ein legendärer Präsident, der auf seine Träume hört - dies ist nicht der einzige ungewöhnliche Wesenszug, den Spielberg gleich für zwölf Oscars nominierter Film seinem historischen Helden zugesteht. Den Film muss man sich vorstellen wie ein Gemälde, aus dem eine reale Person entsteigt; sie schüttelt ihre repräsentative, würdevolle Haltung nie gänzlich ab, gewinnt jedoch mit jeder Sekunde an menschlichem Profil - nicht der eine entscheidende Charakterzug, sondern eigenwillige, auch leicht kauzige Eigenschaften zeichnen diese Figur aus. Etwa die Eigenart, gerne ein wenig weiter auszuholen und Geschichten zu erzählen, um Überzeugungen bildlich zu vermitteln.

Lincoln, das kann man ruhig einmal so hinstellen, wäre ohne Daniel Day-Lewis wohl nur die Hälfte wert. Dem scheuen, aber auf der Leinwand umso gegenwärtigeren irisch-britischen Charaktermimen gelingt hier ein Porträt, das sich nie vordergründig nach außen wendet (obwohl seine optische Ähnlichkeit zum Vorbild verblüffend ist), sondern gleichsam von verhaltener Monumentalität ist - präsent, auch ohne große Stücke. Die gebrechlich erscheinende Statur, die hohe Stimme, mit der er auf seinen Entscheidungen beharrt, wirken mitunter sogar ein wenig komisch. Man muss ihn mögen, ohne unbedingt zu ihm hochzusehen.

Angels in America-Autor Tony Kushner hat zudem ein Drehbuch geschrieben, das sich den Problemen des Biopics schon deshalb kaum direkt zu stellen hat, als es auf die wenigen Wochen zentriert ist, in denen Lincoln für die Durchsetzung des 13. Zusatzartikels zur US-Verfassung kämpft, der die Sklaverei ein für alle Mal verbieten soll. Er hat sich dafür vor allem an Doris Kearns Goodwins Bestseller-Biografie Team of Rivals orientiert, die sich auf Lincolns Fähigkeit konzentriert, auch skeptische politische Mitstreiter sowie Kontrahenten für sich und seine Sache einzunehmen.

Spielberg hat sich die Rechte noch vor der Fertigstellung des Buches gesichert. Der schon oft instinktsichere US-Regisseur erkannte, dass Lincolns Mythos im Amerika von Obama besonders nachwirkt - nicht nur weil er eine historische Weichenstellung vorgenommen hat, sondern weil er auch von der Notwendigkeit der Überwindung politischen Lagerdenkens erzählt.

Die Durchsetzung eines moralisch richtigen, politisch jedoch äußerst schwierigen Manövers, für das es kaum Mehrheiten gab, steht so auch im Mittelpunkt dieses Films. Dies macht ihn zum smarten Lehrstück demokratischen Handelns, oft in muffigen Innenräumen, in die das für Spielberg typische gleißende Licht ungeduldig von außen dringt.

Mut und Überzeugung

Lincoln demonstriert, dass es in der Politik neben einem edlen Herzen auch der List und Überzeugungskraft bedarf. Das Drama des Films ist keines der hehren Worte; es folgt vielmehr der Logik eines spannenden Strategiespiels, in dem man die Männer aus den gegnerischen Reihen mit Jobangeboten auf seine Seite ziehen muss und mit den radikaleren aus dem eigenen Umfeld partielle Übereinkünfte schließt.

Der Verlauf ist - trotz des bekannten Ergebnisses - durchaus abwechslungsreich. Tommy Lee Jones erfreut mit seiner furiosen Darstellung von Thaddeus Stevens, einem giftig geifernden Kongressabgeordneten, dessen Vehemenz gegen Sklaverei keinen Widerspruch duldet. Es sind auch solche ein wenig deftigen, aber herzhaften Gestalten, die Lincoln davor bewahren, als steifes Historienstück zu enden. Und sie bringen den Pragmatismus des Helden, der Kompromisse eingeht, um sich durchzusetzen, erst zum strahlen.   (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 24.1.2013)