Trotzdem cool: Denzel Washington.

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Wien - Im gestärkten weißen Hemd, mit dunkler Uniform und schwarzer Sonnenbrille unter der Kapitänsmütze verkörpert William "Whip" Whitaker schon rein äußerlich zeitlose Coolness. Whip ist Pilot einer US-Airline. Er kann auf viel Berufserfahrung bauen. Als seine vollbesetzte Maschine auf einem Routine-Städteflug in Turbulenzen gerät und an Bord die Technik ausfällt, verlässt er sich auf seinen Instinkt. Und diesen können selbst eine kurze Nacht, eine Nase Koks und etliche Fläschchen Alkohol nicht trüben: Whip verhindert mit einem unorthodoxen und riskanten Manöver eine Absturzkatastrophe.

Sein neuer Status als Held der Luftfahrt wird allerdings bald von der toxikologischen Auswertung seiner Blutuntersuchung gefährdet. Der Film entzieht sich zunächst einer moralischen Wertung dieses Lebenswandels. Er zeichnet Whip vielmehr als Vertreter einer alten Schule von sturen Individualisten, welche im Zweifelsfall erkennen, wenn ein Vorgehen nach Handbuch nichts hilft und Eigeninitiative gefragt ist. Bald wird diese Haltung jedoch ins Pathologische gewendet, und am Ende möchte Flight doch vor allem ein psychologisierendes Alkoholikerdrama sein.

Die jüngste Regiearbeit von US-Regisseur und Produzent Robert Zemeckis ist trotzdem souverän inszeniert - und vor allem ein Film der starken Anfänge, die einen quasi an der Hand (und mithilfe von Zemeckis' Hauskameramann Don Burgess) mit hineinnehmen in unterschiedliche Zustände und Atmosphären.

Das gilt für die genüsslich verkaterte, dem Hedonismus huldigende Eröffnungsszene ebenso wie später fürs markante Entrée von Whips Dealer (John Goodman) - zu Sympathy for the Devil - oder für die heruntergedimmten ersten Aufnahmen der heroinabhängigen Nicole (Kelly Reilly). Diese eröffnen vermeintlich eine Parallelerzählung, bevor der Film Nicole mit Whip zusammenführt und ihre Rolle ordentlich abflacht.

Auch der Flugzeugabsturz entwickelt beachtliche, spürbare Qualitäten. Selbst für kleine Rollen hat man mit Charakterdarstellern wie Goodman, Don Cheadle, Bruce Greenwood oder Melissa Leo noch verlässliche Kräfte aufgeboten. Denzel Washington in der Hauptrolle meistert leichtfüßig alle Facetten des ambivalenten Helden.

Im vergangenen Jahrzehnt hat der immer schon technikaffine Zemeckis (Who Framed Roger Rabbit, Forrest Gump) vor allem mit Computeranimationen und 3-D-Kino experimentiert (zuletzt: Eine Weihnachtsgeschichte, 2009). Vor diesem Hintergrund kann man Flight - minus des eindimensionalen Läuterungsdramas - als vielversprechende Neuorientierung verbuchen. Washington hat der Film seine sechste Oscar-Nominierung eingebracht.    (Isabella Reicher, DER STANDARD, 24.1.2013)