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Der Überraschungszweite: Yair Lapids liberale Partei Yesh Atid ist mit 19 Mandaten in der Knesset vertreten.

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Benjamin Netanyahu verlor zwar Stimmen, wird aber vermutlich Permierminister bleiben.

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Naftali Bennett, der Chef der nationalreligiösen Partei Bayit Yehudi (Bildmitte), blieb hinter dem prognostizierten Ergebnis, konnte seine Mandatszahl aber mehr als verdoppeln.

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Muriel Asseburg: "Netanjahu hat im Wahlkampf klar auf das rechte Wählerspektrum gesetzt und sich kaum an die politische Mitte gewandt." 

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Die Parlamentswahlen in Israel sind geschlagen, der neue Premier wird wohl der alte sein. Benjamin Netanyahu hat mit seinem Likud-Block zwar elf Mandate verloren, stellt mit 31 Abgeordneten aber weiterhin die meisten Mandatare in der Knesset.

Die Überraschung lieferte der ehemalige Journalist Yair Lapid, der mit seiner liberalen Partei Yesh Atid 19 Mandate erreichte und damit zur zweitstärksten Kraft aufstieg. Die Politikwissenschafterin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin erklärt die Gründe für seinen Erfolg und zweifelt an der Ernsthalftigkeit seines Vorschlages zur Zwei-Staaten-Lösung. 

derStandard.at: Die große Überraschung unter den Wahlsiegern ist Yair Lapid. Was ist der Grund für den Erfolg seiner liberalen Partei?

Asseburg: Der Wahlerfolg scheint sich im Wesentlichen durch zwei Faktoren zu erklären: Zum einen kam Lapid als ehemaligem Journalisten seine Medienerfahrung im Wahlkampf sehr zugute. Außerdem entspricht er dem gängigen Schönheitsideal. Der zweite, mindestens genauso wichtige Punkt ist, dass er sich in seinen inhaltlichen Positionen bemühte, niemandem wehzutun oder auf die Füße zu treten.

derStandard.at: Auf welche Themen hat er im Wahlkampf gesetzt?

Asseburg: Lapid hat die soziale Gerechtigkeit angesprochen. Dieses Thema bewegt Israel, und er hat es mit der Frage nach einer gerechten Lastenverteilung in der Gesellschaft verknüpft - insbesondere in Bezug auf den Militärdienst. Lapid setzt sich stark dafür ein, dass auch ultraorthodoxe Israelis zum Militärdienst eingezogen werden. Insgesamt sollen die Religiösen einen stärkeren Beitrag für das Land leisten.

Außenpolitisch hat Lapid der bisherigen Regierung vorgeworfen, dass sie sich nicht ausreichend im Friedensprozess engagiert habe. Er selbst fordert eine Zwei-Staaten-Lösung, konkrete Rezepte dafür ist er aber schuldig geblieben. Es ist auch zu hinterfragen, wie ernst er das gemeint hat, wenn man die Wahl des Ortes für seine erste außenpolitische Rede bedenkt, die er im Oktober vergangenen Jahres in der Siedlung Ariel gehalten hat.

derStandard.at: Was ist an dieser Ortswahl abzulesen?

Asseburg: Mit seiner Rede in Ariel hat er signalisiert, dass er eher eine relativ weit gefasste Definition davon hat, welche Siedlungen bei Israel bleiben sollen. Schließlich liegt Ariel tief in der Westbank.

Lapid weiß, dass eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel essenziell ist. Das hat er selbst auch artikuliert: Israel wird mit einer jüdischen Mehrheit nur weiterbestehen können, wenn es sich aus den palästinensischen Gebieten zurückzieht. Aber ich bin nicht davon überzeugt, dass er gewillt ist, dafür auch die notwendigen Kompromisse einzugehen.

derStandard.at: Welche Kompromisse wären das?

Asseburg: Lapid hat sich schon dahingehend geäußert, dass Jerusalem unter israelischer Souveränität bleiben soll. Eine Teilung von Jerusalem kommt für ihn nicht infrage. Außerdem will er kein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge gewähren.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die Koalitionsmöglichkeiten ein? Ist es denkbar, dass Lapid sich an einer Koalition mit rechtskonservativen Parteien beteiligt?

Asseburg: Ich gehe davon aus, dass Netanyahu mit der Regierungsbildung beauftragt wird und sich eine der ultraorthodoxen Parteien in die Regierung holt. Dann wird er versuchen, ein bis zwei Parteien des Zentrums an Bord zu bekommen: die Partei von Yair Lapid, eventuell auch Kadima oder die neue Partei von Tzipi Livni. Eventuell könnte auch die nationalreligiöse Partei von Naftali Bennett dabei sein. Netanjahu hat angekündigt, eine möglichst breite Koalition zu bilden. Er selbst wird wohl versuchen, in dieser Koalition in der Mitte zu stehen.

derStandard.at: Wie überlebensfähig wäre eine solche Koalition? Die Positionen der Parteien liegen bei bestimmten Themen sehr weit auseinander.

Asseburg: Eine solche Koalition stößt bei innen- und außenpolitischen Themen schnell an ihre Grenzen. Aber es gibt kaum eine Alternative dazu. Die Wahlergebnisse lassen sich als Pattsituation zwischen der Rechten auf der einen Seite und den Zentrumsparteien, der Linken und den arabischen Parteien auf der anderen Seite interpretieren.

Rein rechnerisch könnte auch Mitte-Links die Regierung bilden. Das halte ich aber aus zwei Gründen für relativ unwahrscheinlich. Zum einen, weil es den Zentrums- und linken Parteien schon im Vorfeld der Wahl nicht gelungen ist, ein Bündnis zu bilden. Zum Zweiten hat es in Israel noch keine Regierung gegeben, die sich nicht auf eine ausschließlich jüdische Mehrheit gestützt hätte. Mit anderen Worten: Eine arabische Partei war in Israel noch nie an der Regierung beteiligt.

derStandard.at: Der Wahlerfolg der nationalreligiösen Partei von Naftali Bennett war weniger stark als in Prognosen angekündigt. Warum?

Asseburg: Ich finde, sein Wahlergebnis war nicht schlecht. Bennett ist von fünf auf elf Sitze gekommen. Das heißt, er hat seine Mandate mehr als verdoppelt. Dass er nicht noch mehr Sitze gewinnen konnte, mag daran gelegen haben, dass der im Vorfeld vielfach prognostizierte Sieg der Rechten einige Wähler abgeschreckt hat. Diese haben dann eher Parteien des Zentrums als rechts gewählt.

derStandard.at: Ist der Stimmenverlust Netanyahus als Absage an einen weiteren Rechtsruck zu verstehen, oder gab es auch andere Gründe?

Asseburg: Netanyahu hat im Wahlkampf klar auf das rechte Wählerspektrum gesetzt und sich kaum an die politische Mitte gewandt. Ausschlaggebend scheint mir allerdings, dass es ihm in der vergangenen Legislaturperiode nicht gelungen ist, innenpolitische und wirtschaftliche Probleme zu lösen. Zudem hat er mit Angst statt mit Hoffnung gearbeitet. Er hat ein Bild gezeichnet, wonach Israel von Feinden umgeben wäre und sich mit Stärke dagegen wehren müsse. Netanyahu hat es nicht geschafft, einen positiven Zukunftsentwurf für Israel zu zeichnen.

derStandard.at: Netanyahu wird trotz der Verluste auch der nächste Premier sein und vor denselben Problemen stehen. Wird er sich politisch bewegen?

Asseburg: Ich denke nicht. Sein Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung ist rein taktisch und nicht durch konstruktive Politik unterfüttert worden. Er hat im Wahlkampf angekündigt, dass er die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten weiter forcieren möchte. Auch ist seine Partei bei den parteiinternen Vorwahlen im vergangenen November ein ganzes Stück nach rechts gerückt, so dass dort jetzt die Großisrael-Ideologen dominieren. (Michaela Kampl, derStandard.at, 23.1.2013)