Graz - Sir Johns Feststellung, dass alles auf der Welt Narrheit und der Mensch im Grunde ein Clown ist, steht nicht als abschließende Erkenntnis, sondern als Motto über der Neuinszenierung von Falstaff, mit dem die Oper Graz das Verdi-Jahr einleitete.

Der australische Schauspieler und Regisseur Tama Matheson verlegt Verdis Alterswerk in die Manege. Der dicke Lebenskünstler ist bei Matheson kein Ritter, sondern ein eitler Zirkusdirektor. Das ist nachvollziehbar, denn Falstaff liebt die Übertreibung, die Illusion. Der etwas schäbigen und zwielichtigen Welt des Zirkus steht die wohlhabende Bürgerlichkeit der Familie Ford gegenüber, deren Ordnung für kurze Zeit aus den Fugen gerät. Danach hat jeder etwas gelernt: Der Möchtegernverführer, dass seine attraktiven Zeiten lange vorbei sind, der strenge Mr. Ford, dass ein wenig Vertrauen nicht schadet. Und alle haben sich zu Fantasien und Verkleidungen hinreißen lassen.

Ein ambitioniertes Konzept, doch es fehlte der Zauber. Chefdirigent Johannes Fritzsch ließ das Grazer Philharmonische Orchester lärmen, ein differenzierter Klangteppich für die allesamt in diesen Rollen debütierenden Sänger kam nicht zustande, und die komplexe Partitur erschloss sich kaum. Auch James Rutherfords schöner, weicher Bass-Bariton erwies sich als nicht tragend genug.

Der Engländer hat in wenigen Jahren große Karriereschritte gemacht und agiert als Falstaff mit gewohnter Präsenz. Aber seiner Darstellung fehlt die Ausstrahlung des alternden Lebemanns, die Lebenserfahrung und das Quäntchen Wehmut, das Falstaffs Charakter interessant macht.

André Schuen als Ford hatte Mühe, übers Orchester zu kommen. Er setzte aber mit der dramatischen Eifersuchtsarie des zweiten Akts einen beeindruckenden Akzent. Windsors lustige Weiber Mrs. Ford (fast zu mädchenhaft: Margarita Klobucar), Mrs. Page (blass: Xiaoyi Xu) und Mrs. Quickly (temperamentvoll: Silvia Beltrami) werden von einer liebreizenden Nannetta (glockenklar: Nazanin Ezazi) unterstützt. Als Fenton erfreute Abdellah Lasri mit höhensicherem Tenor.

Es ist die Ausstattung von Peter Corrigan, die den stärksten Eindruck hinterlässt. Das Ambiente, das der australische Architekt und Bühnenbildner auf die Bühne bringt, ist prall, bunt und an die Varieté-Ästhetik der 1920er-Jahre angelehnt. Ein naiver Bilderbogen mit Artisten, Clowns und Zirkuszelt illustriert die verspielte Seite des Sir John Falstaff wie ein Kinderbuch. Das angedeutete Haus mit der Waschküche an der Themse und ein "Gasthaus zum Hosenbande" bilden die Kulisse für die Wirklichkeit des alten Schwerenöters. (Beate Frakele, DER STANDARD, 22.1.2013)