Sie "hungern", obwohl sie jeden Tag satt werden. Weltweit sind 2,5 Milliarden Menschen vom sogenannten verborgenen Hunger betroffen - nicht nur in Entwicklungsländern. Meist bleibt der Hunger unbemerkt, weil die Menschen nicht am Hungergefühl leiden. Reicht das Einkommen für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung nicht aus, so können lebenswichtige Nährstoffe in der täglichen Kost fehlen.

Auch in Industrienationen gibt es den verborgenen Hunger besonders dort, wo Armut herrscht - alleinerziehende arbeitslose Mütter und ihre Kinder oder verarmte Senioren. "Das Thema ist offensichtlich nicht von öffentlichem Interesse, es ist eben verborgen", erklärt der Managing Direktor des Food Security Center Hans Konrad Biesalski von der Universität Hohenheim. Er hat dem verstörenden Phänomen ein ganzes Buch ("Der verborgene Hunger. Satt sein ist nicht genug") gewidmet. Am Montag, den 28. Januar 2013 stellt er es in einer Lesung im Tagungszentrum der Bundespressekonferenz in Berlin vor.

Chronisch unterversorgt

"Armut und der sogenannte verborgene Hunger sind untrennbar miteinander verbunden", warnt Biesalski. "Mit dem Entwicklungsstand eines Landes hat dies nicht immer etwas zu tun, wie Studien aus Großbritannien und USA zeigen."
Die Folgen des verborgenen Hungers: eine oft chronische Unterversorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen wie zum Beispiel Vitamin A, Folsäure, Vitamin D, Eisen, Zink, Jod oder lebenswichtige Eiweißbausteine beziehungsweise Fettsäuren. Besonders häufig betroffen sind Kinder aus armen Familien.

Eine solche Unterversorgung wird, weil sie sich lange nicht bemerkbar macht, auch als verborgener Hunger bezeichnet. Er hat bei Kindern in den ersten Lebensjahren erhebliche und oft unumkehrbare Folgen für deren körperliche und geistige Entwicklung.

Mangelernährt geboren

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO und die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO warnen: Weltweit seien 2,5 Milliarden Menschen, vor allem Kinder, vom verborgenen Hunger betroffen. "Selbst eine nur kurzfristige Lebensmittelknappheit durch steigende Preise oder Dürren kann vor allem bei chronisch unterernährten Kindern fatal sein", sagt Biesalski.

Im Schnitt sterben alle 20 Minuten 130 Kinder weltweit an den direkten oder indirekten Folgen des verborgenen Hungers, noch vor dem fünften Lebensjahr. Oft werden die Kinder mangelernährt geboren, da bereits die Mutter an verborgenem Hunger leidet.

Qualität unberücksichtigt

In Österreich sind etwa eine halbe Million Menschen, in Deutschland bis zu 16 Millionen arm. Das hat der Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz kurz vor Weihnachten ermittelt. "Im Armutsbericht der Bundesregierung wird das Problem der ungesunden Ernährung von Kindern aus armen Familien zwar erwähnt, aber nicht weiter erörtert oder gar untersucht " bedauert Biesalski. "Diese Menschen haben in vielen Fällen nicht genug Mittel und auch Wissen, um sich ausgewogen und vielfältig zu ernähren", sagt der Ernährungsmediziner.

"Der verborgene Hunger wird übersehen, solange die Betroffenen scheinbar satt sind", warnt Biesalski. "Ob die Qualität der Ernährung für eine gesunde Entwicklung ausreichend ist, wird dabei oft kaum berücksichtigt", gibt er zu bedenken. (red, derStandard.at, 21.1.2013)